Bastardisierte
Lieblingsmusik
Immer diese besorgten Promoterinnen. Da kriege ich kurz vor meinem Interview mit Mr. Excentricky himself einen Anruf aus Hamburg mit dem wohlmeinenden Ratschlag, ich solle den Herrn doch bitte weder nach Frauen fragen, respektive nach seinem Verhältnis zu diesen, noch solle ich während des Interviews auf TripHop und HipHop zu sprechen kommen. SchIießlich habe Tricky tags zuvor in Hamburg demonstriert, wieviel Angst man vor ihm haben müsse, wenn man falsche Fragen stellt...
Zwei Kollegen hätten dies schmerzhaft erfahren. Er habe aus seiner Garderobe geworfen und deren Aufnahmegerät gleich hinterher. Auch das hatte dann nur noch Schrottwert. Nun, ich erfreue mich auch nach dem Interview bester Gesundheit, ebenso hat mein Aufnahmegerät alles unbeschadet überstanden. Mit Tricky ist es offensichtlich wie mit einem Hund: zeigt man ihm, daß man Angst vor ihm dann zerfleischt er einen. Hat man keine Angst (wohl aber Respekt,  wie er jedem gebührt), dann kann man einen erfrischend humorvollen, nachdenklichen und nicht um falsche Bescheidenheit bemühten Interviewpartner erleben. Einen, mit dem man auch über Frauen sowie über TripHop und HipHop sprechen kann. Natürlich wird zuallererst die Tüte herumgereicht. Da sitzt mir also dieser Mann, nach eigenen Angaaben 31 Jahre alt, gegenüber. Reservierter Gesichtsausdruck, düstere Augen, von schmächtiger Gestalt, und er wartet auf meine erste Frage...

Stehst du auf Frauen?
"Wenn du den Titel "I Like Girls" so auffassen könntest..."

Kann ich. Was heißt "Juxtapose"?
"Es bedeutet soviel wie ,Dinge in eine Ordnung bringen', oder ,Dinge zusammen bringen'. Als wir das Album fertig gemastert hatten, fragte man mich, wie ich es denn nennen wolle. Ich hatte nicht die Spur einer Ahnung. Ich dachte 'Tricky feat. Grease and Muggs' wäre ein guter Titel, aber dann erinnerte ich mich an das Wort ,Juxtapose', daß ich von einer Frau aufgeschnappt hatte... Jetzt könnte kein Titel besser passen: Ich wollte einen bastardisierten Mix meiner Lieblingsmusik machen."

Und was bringst du zusammen?
,,Es ist das erste Mal überhaupt, daß ein Engländer mit amerikanischen HipHoppern zusammen arbeitet. Das hat es vorher noch nie gegeben. Ich hatte es vor zwei Jahren schon einmal versucht, aber alles ging damals schief. Jetzt haben wir es zusammen gekriegt: Tricky, Grease and Muggs. Noch nie ist ein englischer MC von einem DMX-Produzen ten produziert worden. Wenn du das willst, dann mußt du nach Ameri ka gehen, und du mußt aufpassen, daß man dich nicht auslacht."

Du hast dich produzieren lassen?
,,Nein, natürlich habe ich mein Album wie alle meine anderen selbst produziert. Grease und Muggs haben einige Songs co-produziert. Sie haben mir ein paar von ihren Sachen vorgespielt und ich habe mir ein Ganzes oder ein paar Elemente rausgesucht."Früher warst du aber nicht so offen...
,,Nein, ich hätte es anderen Prodüzenten früher niemals erlaubt, ihre Musik in meinen Alben aufgehen zu lassen. Aber mit Muggs, den man von Cypress Hill her kennt, und Grease, der als DMX-Produzent bekannt ist, wollte ich unbedingt zusammenarbeiten."

Mit ,,Juxtapose", sagen Kritiker, sei Tricky nicht mehr antikommerziell.
,,Was soll denn das heißen? Ich glaube nicht an solche Platitüden. Ich meine doch, daß eine Platte dann kommerziell ist, wenn sie in den Charts ist. Das Wort sagt aber nichts über ihre Qualität. Sie kann trotz dem er erfinndungsreich, innovativ und außergewöhnlich sein. Begriffe wie ,kommerziell' nützen der Musik gar nichts. ,Juxtapose' ist vielleicht insgesamt radiofreundlicher. Aber nur, weil die vom Radio zu feige sind, andere Sachen von mir zu spielen, und nicht, weil ich ins Radio wollte." 

Wie würdest du die Platte beschreiben? Ist es eine HipHop-Platte?
,,Ich habe mich schon sehr früh für Musik begeistert. Ich habe alles gehöhrt, Punk, Reggae, Rock, Pop. Aber der HipHop-Sound hat mein Leben komplett verändert. ,Juxtapose' läßt dich anders über HipHop nachdenken. Mein musikalischer Weg und der Punkt, an dem ich mich musikalisch jetzt befinde, lassen dich anders auf die Kunstform blicken, die ich für die alternativste halte. Ich liebe und respektiere HipHop.
Und ich sehe mich schon lange als Rapper. Mit ,Juxtapose' ist meine Vision Wirklichkeit geworden. Ich habe es wirklich mehr als ein HipHop-Album konzipiert. Aber deshalb ist es noch immer kein HipHop-Album im klassischen Sinne." 

Und was Ist "Juxtapose" in der Folge deiner Alben ,,Maxinquaye", "Nearly God", "Pre-Millennium Tension" und "Angels With Dirty Faces"?
"'Maxinquaye'  war das erste Album, aber schon bei ,Nearly God'  glaubt man nicht, daß es vom selben 


 
 
Künstler stammt, ebenso bei'Pre Millennium Tension'. Bei ,Angels With Dirty Faces' kriegt man eine leise Ahnung, daß alle Platten von ein und derselben Person stammen könnten, wenn du genau hinhörst, hörst du die Vorgänger-Alben. All das hat meinen Kopf, mein Hirn explodieren lassen. Jedes meiner bisherigen Alben hat bestimmte musikalische Aspekte abgedeckt. Jetzt komme ich langsam an den Punkt, an dem ich alle Aspekte nutzen kann."

War das ein bewußter Prozeß?
,,Bis jetzt nicht. Weißt du, jeder hat bei meinen Platten seine Favoriten. Und dann kommen natürlich Empfehlungen wie ,du solltest es so machen, wie auf Maxinquaye"' ,mach es doch so, wie bei ,Angels with Dirty Faces" und so weiter. Die einen mögen dies, die anderen eben nicht. Mir kommt es darauf an, eine Platte zu machen, die ich mag."

Wie beschreibst du denn deine Musik? Immerhin wurdest du ja als das Wunderkind des TripHop bezeichnet, womit du ja gar nicht ein verstanden bist...
,,Du etwa?"

Nein, Musik ist Musik. Ich will ja auch keine Stil- oder Genrebe schreibung, sondern eher eine gefühlsmäßige.
,,Verstehe. Ich bin auch der Meinung, daß Musik eigentlich grenzenlos ist. Natürlich gibt es Elemente, die man benutzt, so wie ich jetzt eben HipHop. Aber deshalb ist es kein HipHop-Album. Das war, wie ich schon sagte, die Grundkonzeption, die Richtungsvorgabe. Aber es ist mutiert. Gesteuert mutiert vielleicht. Meine Musik ist mutierend."

Wie meinst du das?
"Es gibt Leute, die sagen, daß sich die Musik verändert, je öfter man sie hört. Mir geht es genauso. Ich nehme meine Musik wahr, ich höre sie, aber sie verändert sich, entwickelt ein Eigenleben. Und das kann man nicht vorherbestimmen. Wenn ich eine Platte mache, wenn ich sie fertig habe, dann gebe ich die Musik im Prinzip frei, und sie kann sich verändern, bei jedem, der sie hört. Und bei jedem anders. Aber bewußt planen kann ich das nicht."

Auf deiner neuen Platte hast du im Titel ,.Contradictive" die Percussionline eines Songs von Kate Bush - ,,Watching You Without Me" - gesampelt uns als Loop durch deinen Song laufen lassen. 
,,Das hast du erkannt?"

Das war nicht schwer, es ist einer meiner Ueblingssongs überhaupt. 
,,Ich habe, während ich ,Juxtapose' schrieb, nur diese Platte, diesen Song von Kate Bush gehört. Über Wochen und Monate, auf Repeat. Es ist mein Lieblingssong. Dieser Song, Kate Bush überhaupt, kriegt dich hier (faßt sich ans Herz) und hier (jetzt an den Bauch), einfach überall. Ich habe den Song beim Kiffen gehört, Im Bett, wenn ich unterwegs war, einfach immer und überall. Normalerweise benutze ich selten Loops, eigentlich nie, aber hier konnte ich nicht anders. ,Contradlctive' ist im Prinzip eine Coverversion von ,Watching You Wtthout Me', eine Coverversion der Liebe und Wertschätzung zu dieser Frau. Sie hat mir viel gegeben. Ich sitze da und hoffe jeden Tag, daß ein neues Album von Kate Bush angekündigt wird. Weißt du, wie lange das letzte her ist?"


 
 
Wir sind im siebten Jahr.
,,Schrecklich, diese Warterei. Weißt du, da gibt es Frauen, die gewinnen sechs Grammys, und die sind lange nicht in derselben Liga wie Kate Bush. Und sie hat noch keinen Grammy gekriegt. Das tut mir weh. Wirklich. Ich habe Muggs ein paar Songs von ihr vorgespielt. Er war total überwältigt - und hatte nie vorher von Ihr gehört. Und dann haben wir die ganze Zeit nur ihre Platten gehört. Jetzt soll ich sie ihn alle besorgen. Sie kann deine Seele berühren, wo immer du auch her kommst, glaube mir."

Würdest du mit ihr zusammenarbeiten?
,,Das fragst du noch? Das wäre das Größte. Ich würde sofort mit ihr arbeiten, in der nächsten Minute. Ich würde ein Album mit ihr machen. Wenn ich jetzt einen Anruf von Kate Bush bekäme und sie mich fragen würde, ob ich ein Album mit ihr machen wolle, dann, glaube mir, müßte ich leider unser Gespräch an dieser Stelle beenden. Ich würde meine Sachen packen, das Konzert heute abend absagen, die laufende und die. nächste Tour cancein und sofort nach England fahren. Keine Frage. Kate Bush ist Gott. Endiich mal ein interessantes Thema. Hast du mei nen Song ,Strugglin' mal gehört? Der ist absolut beeinflußt von ,Army Dreamers' von Kate Bush. Dieses Durchladen des Gewehres in dem Song. Als ich ,Strugglin' gemacht habe, habe ich jede Nacht den Song ,Army Dreamers' gehört. Sie hat ihn ja damals auch während des Falkland-Krieges als Single ausgekoppelt."

Zu einem anderen Thema. Wer ist eigentlich deine Vorband?
,,Das sind meine Cousins' The Baby Narnboos. Ich arbeite nicht so gerne mit Supports, aber die sind okay. Ist ja meine Familie, sie sind auf meinem Label. Und sie machen einen bombastischen Sound."

Was magst du lieber: Bühne oder Studio?
,,Studio, eindeutig. Im Studio bin ich frei. Da kann ich wiederholen, etwas neu ausprobieren und so weiter. Wenn auf der Bühne Mist passiert, kann ich das nicht wieder rückgängig machen."

Wenn man dich auf der Bühne sieht, hat man den Eindruck, daß du nur kurz vor und kurz nach den Songs wirklich da bist. Während der Songs wirkst du seltsam entrückt.
,,Ich lasse mich in die Musik fallen, und im Prinzip führe ich dann Selbstgespräche auf der Bühne. Das kann man nur, wenn man um sich herum alles nur noch schemenhaft wahrnimmt. Natürlich weiß ich, daß

ich auf einer Bühne stehe, aber das interessiert mich dann nu? noch bedingt. Ich lebe dann für den Song, der gerade dran ist. Es kann auch vorkommen, daß ich den gleichen Song dreimal am Abend spiele. Aber nicht immer."

Deshalb dauern die Konzerte manchmal auch über vier Stunden?
,,Kommt vor. Aber ich mache das dann nicht für das Publikum, sondern für mich. Manchmal läuft es eben ein wenig aus dem Ruder."

Wie arbeitest du? Ist es für dich anstrengend, eine neue Platte zu machen?
,,Das kommt darauf an. Es ist eine Entwicklung. Wenn ich merke, daß ich wieder neue Ideen habe, daß es wieder Zeit wird, eine neue Platte zu machen, dann muß ich die Entscheidung treffen, ins Studio zu gehen. Dann brodelt es in mir. Ich glaube, daß ich dann manchmal zu ungeduldig bin, und es kann schon mal sein, daß ich unleidlich werde. Aber wenn ich einmal dabei bin und merke, es läuft, dann geht es ziem lich schnell. Ich folge meiner Intuition und mache das, was mir gerade in den Sinn kommt. Nicht nur bei der Musik."

Ist ,,Juxtapose" mit knapp 32 Minuten nicht ein bißchen kurz gera ten? Da lstja nianche Maxi länger...
,,Vielleicht ja. Aber ich hatte einfach nicht mehr zu sagen."

Was würdest du den Spirit des Albums beschreiben?
,,Das ist mein Jahr. Nach Jahren voll Gift ist das jetzt mein Jahr."

Und was tust du zu deiner Entspannung?
,,Eigentlich bin ich immer entspannt, und wenn du denkst, daß ich kiffe, um zu entspannen, dann stimmt das nicht. Kiffen ist reine Sucht. Nein, ich mache zum Beispiel Tai-Chi. Als ich heute hier zu dieser Halle fuhr, kamen wir an einer Wiese vorbei, auf der zig Leute ihr Tai-Chi gemacht haben. Sowas habe ich bisher, glaube ich, nur in New York gesehen."

Wie stellst du dir Tricky in zehn Jahren vor?
,,Gute Frage. Ich stelle mir große Orchester vor, große, umfangreiche Songs wie bei Frank Sinatra oder Billie Holiday. Ich stelle mir den Blues vor, viele Instrumte, große Bands. Ich glaube, ich will  wirklich mal mit einem großen Orchester arbeiten."

Robert Baumanns

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