Wiedereröffnung
Nach seinem epochalen Solodebüt MAXINQUAYE mauerte TRICKY drei Alben lang konsequent gegen jeden Versuch, sich vermarkten zu lassen. Mit BLOWBACK gibt er die Verweigerung nun auf - und umgibt sich sogar mit Cyndi Lauper.
Passend zu dem Titel deines neuen Albums BLOWBACK bläst du auf dem Coverfoto einem Mädchen Rauch in ihren Mund - oder sie in deinen. Propagierst du damit Dope Rauchen?
Das war einfach ein Bild, das ich schon seit geraumer Zeit im Kopf hatte, und irgendwann hat sich auch der Albumtitel daraus ergeben. Und natürlich ist das auch eine besondere Art, Gras zu rauchen.

Man könnte auch annehmen, dass du versuchst, ihr Leben einzuhauchen. Das wiederum könnte auf dein Album von 1996, NEARLY GOD, anspielen.
Das stimmt, aber das war nicht meine Absicht. Sowohl meine Texte als auch die Gestaltung meiner Alben ist sehr zweideutig. Und das ist gut so. Daraus kann dann jeder seine eigene Geschichte machen.

Erneut hast du mit sehr vielen unterschiedlichen Künstlern zusammengearbeitet.
Ich hatte ursprünglich gar nicht geplant, wieder mit so vielen Leuten zu arbeiten. Zunächst sollten das nur Ambersunshower und Hawkman sein, die auch jetzt noch auf einigen Songs vertreten sind. Plötzlich k men aber verschiedene Gaste aus den unterschiedlichsten Gründen dazu. Cindy Lauper hatte mich vor einigen Jahren einmal gefragt, ob ich ihr Album produzieren wollte. Aber aus irgendeinem Grund ist es nie dazugekommen. Dann haben wir uns später aber in einem Restaurant getroffen, uns gut unterhalten und unsere Nummern ausgetauscht. Und jetzt war endlich die Zeit für unsere Zusammenarbeit gekommen. Vor fünf, sechs Jahren sollte ich ein paar Tracks für ein Album der Red Hot Chili Peppers produzieren, hatte aber damals keine Zeit dafür.Später hatten sie mich gebeten, Remixe fur ein paar Songs ihres letzten Albums zu erstellen. Aber auch dazu bin ich leider nicht gekommen. Vor kurzem bin ich John Frusciante in einer Bar begegnet, und dann war es endlich so weit. In dieser Beziehung bin ich sehr locker. Ich würde mit fast jedem arbeiten, wenn er cool ist und wenn ich ihn mag. Das kann sich sehr schnell und spontan ergeben, da sollte kein großer Terminplan aufgestellt werden.

Während die Gäste auf NEARLY GOD, unter anderen Björk, Neneh Cherry und Alison Moyet aus deinem UK-Umfeld kamen, hast du auf BLOWBACK vor allem mit US-Künstlern gearbeitet.
Ja, bis auf Hawkman, der stammt aus Jamaika. Das liegt einfach daran, das ich inzwischen seit fünf, sechs Jahren in Amerika lebe und arbeite. Ich lebe in New Jersey, etwa 23 Minuten von NewYork entfernt. Da habe ich ein sehr großes Grundstück inmitten eines Walds. Weit und breit gibt es nur Bäume, Rehe und Waschbären.

Fühlst du dich seitder präsidentschaft von George Bush weniger wohl in den USA? Hast du daran gedacht nach England zu rückzukehren?
Ich halte es für beängstigend, dass er die Wahl gewonnen hat. Aber ich denke, dass ich in ein paar Jahren ohnehin die westliche Zivilasation verlassen werde und vielleicht nach Thailand oder Sri Lanka ziehen werde; jedenfalls weg von den westlichen Städten.

Aus welchem Grund?
In vielen Ländern geht es einfach wesentlich gelassener zu als in den westlichen lndustrienationen. Da herrscht nicht diese stete Anspannung, die machen diesen ganzen Mist einfach nicht mit. Die Leute dort begegnen dir unvoreingenommen. Es ist ihnen gleichgültig, ob du einen Haufen Geld hast oder berühmt bist. Sie nehmen dich einfach so, wie du bist. Dieser westliche Lifestyle langweilt mich einfach.

Bereits nach dem Erfolg deines Debüts MAXINQUAYE hattest du ein paar weniger zugängliche dunkle Alben veröffentlicht und damit eine gewisse Aussteigerhaltung an den Tag gelegt.
Ich hatte immer gute Gründe dafür, meine Alben auf eine bestimmte Art und Weise aufzunehmen. Zur Zeit der AIben NEARLY GOD, PRE-MILLENNIUM TENSION oder ANGELS WITH DIRTY FAGES war ich üherhanpt nicht daran interessiert, im Radio gespielt zu werden. Diese Alben habe ich ganz bewvusst mit einer geradezu dunklen Atmosphäre ausgestattet. Ich wollte mit nichts und 


 
 
niemandem etwas zu tun haben und befand mich einfach auf meinem persönlichen Trip. BLOWBACK hat immer noch seinen eigenen Charakter, ist aber gleichzeing offener für ein großes Publikum. Ich kann mich auch selbst sehr gut auf das Album einlassen, es losgelöst von der Tatsache, dass ich es selbst aufgenommen habe, hören und feststellen: Derjenige, der das gemacht hat, muss ziemlich cool sein.

Warum wolltest du nach MAXINQUAYE die Radiotauglichkeit oder Zugänglkhkeit deiner Songs vermeiden?
Ich kann mich an eine bestimmte unangenehme Erfahrung nach der Veröffentlichung von MAXINQUAYE erinnern. Das Album war seit ungefähr sieben Monaten auf dem Markt, und mir war der Einfluss, den das Album auf andere hatte, nicht bewusst geworden. Ich lebte in meiner eigenen Welt und hatte mich zu diesem Zeitpunkt bereits neuen Dingen zugewendet. Eines Abends bin ich auf der Kensington Heights Street ins Kino gegangen und musste feststellen, dass fast alle Werbespots in der Pause wie MAXINQUAYE klangen. Ich war geschockt: Man hatte meine Musik in schmalzigen Werbefilmchen verbraten.

Für welche Produkte wurde denn damit geworben?
Alles mögliche. Jeder schien sich an diesem Album bedient zu haben und produzierte billige Versionen von dem Sound. Ich hatte das Gefühl, dass etwas, was ich geschaffen hatte zu Werbezwecken missbraucht und in eine Musik für Kaffeekränzchen vewandelt wurde. Dabei hatte ich mir gar nicht so viel auf diese Musik eingebildet. Ich hatte nur ein wenig experimentiert und ein eher persönliches Album aufgenommen. Es war keineswegs beabsichtigt, dass es so sehr in den Mittelpunkt des Interesses gerät, und erst recht nicht, dass es kommerziell ausgebeutet wird.

Daraufhin hast du dich extrem zurückgezogen, hast kaum Interviews gegeben und dir den Ruf eines introvertierten Exzentrikers eingehandelt
Ich habe es genossen! Musik zu veröffentlichen, an die sich zu dieser Zeit nicht gerade viele Künstler heranwagen konnten. Kein A-&-R-Mann konnte mir hineinreden. Es gab einige Leute, die gerade deshalb den Kontakt zu mir gesucht haben. Die wenigsten Künstler haben die Möglichkeit, wirklich Einfluss auf ihre eigene Karriere zu nehmen, heute noch weniger als damals. Es geht überhaupt nicht um die Musik, sondern nur noch um den Marketingplan. Ich habe dagegen Dinge gemacht, die im Widerspruch zu den üblichen Gesetzen der Musikindustrie stehen. Ich habe mich nicht so vermarktet, wie ich es hätte tun sollen. Ich habe nicht die Songs aufgenommen, die ich hätte aufnehmen sollen. Ich habe es abgelehnt, Radiosender zu besuchen. Selbst dann, wenn sie mir die "Single der Woche" angeboten haben, bin ich einfach nicht hingegangen. Ich habe die Tatsache genossen, dass ich immer ich selbst geblieben hin.

Wenn du dir heute die Alben aus deiner dunklen, introvertierten Zeit anhörst, versetzt dich das wieder in die negative Stimmung dieser Zeit?
Ich habe sowohl  MAXINQUAYE als auch die dunkleren folgenden Alben seit Jahren nicht mehr gehört. Aber wenn ich sie heute noch einmal hören würde, dann würde ich sie vermutlich nicht verstehen.

Steht BLOWBACK auch dafür, dass du dich in diese frühe Zeit zurückversetzt, zurückgeblasen fühlst?
So kann man es sehen. Das ist verrückt: Alle meine Albumtitel haben bisher ganz gut die Stimmung, in der ich mich befand, und dieTextinhalte reflektiert..BLOWBACK 


 
 
symbolisiert insofern tatsächlich den Anschluss an diese frühe Zeit, gleichzeitig steht es aber auch für einen Schritt nach vorn. Ich habe sehr viel seit der Zeit von MAXlNQUAYE gelernt. BLOWBACK geht weiter, hat mehr Tiefgang als MAXINQUAYE. Und mit meinem nächsten Album werde ich noch weiter wachsen. Ich muss mich lediglich konzentrieren und dem Album ausreichend Zeit widmen.

BLOWBACK wird bereits als der erste legitime Nachfolger zu deinem erfolgreichen Debüt MAXINQUAYE von 1995 gehandelt, das du nach deiner Zusammenarbeit mit Massive Attack veröffentlicht hast.
Manche Leute haben gedacht, dass ich so etwas nicht kann. Aber wer weiß schon, was wirklich in einem anderen Menschen vorgeht? Da schreiben manche Leute über dich und stellen irgendvelche Vermutungen an, warum du das eine oder andere gemacht hast. Ich bin immer noch ich selbst, und ich habe immer gewusst, dass ich ein Album machen kann, das noch besser als MAXINQUAYE ist. Aber ich bin derjenige, der die Entscheidung trifft, ob und wann ich es aufnehme. BLOWBACK wäre ein gutes zweites Album gewesen, ein geeigneter Nachfolger zu MAXINQUAYE. Aber das wäre damals einfach zu offensichtlich gewesen. Ich mache, was ich will. Ich empfinde mich nicht als Sklave der Musikindustrie. Wenn ich kein Album herausbringen will, dann mache ich es auch nicht. Wenn ich keine Konzene geben will, dann gehe ich eben nicht auf Tour.Und wenn ich keine Interviews geben will, dann kann die Presse zu Hause bleiben. Ich hin nicht davon abhängig, eine Berühmtheit zu sein.

Was nicht gerade viele Künstler von sich behaupten können.
Natürlich, mir ist schon klar, dass ich sehr viel Glück habe, und ich erinnere mich auch regelmäßig daran. Ich muss mich keinem engen Terminkalender fügen. Ich arbeite, wenn ich Lust dazu habe. Es gibt wirklich nicht viele, die diese Privilegien genießen. Wenn ich auf Tournee gehe, dann wohne ich in netten Hotels. Die Leute erkennen mich, sind freundlich und machen mir Komplimente. Ich muss mir um nichts Sorgen machen. Das ist natürlich ein sehr begünstigtes Leben.

In deinem Projekt PRODUCT OF THE ENVIRONMENT (1999 Rykodisc/Zomba) hast du mit zahlreichen britischen Ex-Gangstern zusammengearbeitet die dort Geschichten aus ihrer wilden Zeit zu deinen Beats rezitieren. Wie bist du darauf gekommen?
Von meinen Onkeln, die alle eine kriminelle Vergangenheit hatten, bekam ich mein ganzes Leben lang irgendwelche Geschichten über kriminelle Aktivität zu hören. Das hat 

immer eine besondere Faszination auf mich ausgeübt. Deshalb wollte ich ursprünglich ein Buch über meine Onkel schreiben. Und ich dachte mir, dass es am klügsten wäre, ihre Geschichten auf Band aufzunehmen, was ich dann auch gemacht habe. Diese Bänder wollte ich eigentlich bei einem Autor abliefern, damit er etwas daraus macht. Aber zunächst habe ich die Bänder einem Freund im Studio vorgespielt, weil ich wissen wollte, was er davon hält. Eher zufällig habe ich, während die Stimme meines Onkels vom Band kam, an den Keyboards herumgespielt. Und da dachte ich mir sofort: Vergiss das Buch, daraus muss ich ein Album machen.

Das nast du dann noch ausgebaut. Auf dem Album sind nicht nur die Stimmen deiner Onkel vertreten.
Nein, denn da haben schließlich noch einige andere ehemalige Gangster mitgemacht, Bankräuber, Mörder, alles mögliche. Ziemlich viele von ihnen kamen aus London.

Und die berichten überwiegend ziemlich nüchtern von ihrer zum Teil sehr brutalen Vergangenheit. Welche Botschaft steht für dich hinter dem Projekt? Eher "Verbrechen zahlt sich nicht aus" oder "Es ist nur ein
schmaler Grat zwischen Rechtschaffenheit und Kriminalität"?
Ein bisschen von beidem. Viele Leute tun, als ob es diese Gangster nicht gäbe. Dabei hat die Gesellschaft diese Leute geschaffen. Man kann es durchaus mit der Angst bekommen, wenn man diese Geschichten hört. Glamour steht da nicht im Vordergrund, und du denkst dir, dass Drogen und Waffen wirklich das Letzte sind, womit du etwas zu tun haben willst. Insofern geht es mir auch um Verbrechensverhütung.

Kommentierst du damit auch die häufig aufgesetzte Gangstersprache des HipHop?
In gewisser Weise ja. Die Stimmen auf dem Album PRODUCT OF THE ENVIRONMENT gehören richtig schweren Jungs. Und die stammen ans dem wirklichen Leben. Insofern ist das Real Gangster-Rap und damit auch ein Kommentar über Leute, die nur mit so genanntem Gangster-Rap spielen.

In deiner Jugend in Knowle West in Bristol warst du auch selbst in Drogenhandel und Autodiebstähle verwickelt. Wie hast du es geschafft von der Kriminalität loszukommen?
Ganz einfach durch die Musik. Ehe ich mich versah, habe ich Texte verfasst, bin aufgetreten und habe Geld verdienz. Da gab es keineVeranlassung mehr, irgendwo einzubrechen. So einfach war das.

INTERVIEW: MICHAEL TSCHERNEK

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  photo: Anton Corbijn
 
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