The Dark Stuff
Tricky
Aber hinter all seiner Bösartigkeit verbirgt sich doch eher die planlose Kreatur. Neben beide Kämpfer könnte man Tricky stellen: Ein Fliegengewicht, das früher bei Massive Attack war. Auch er sagt: Ich bin der Größte.
   Im eiskalten Berliner Loft hat sich Tricky stundenlang mit der CD von den Presidents Of The USA frischgemacht, einige Tüten geraucht und mit nie mandem geredet, während die Musik mit Mörderlautstärke aus seinem Walk man dröhnt. ,,Ich höre das Zeug, um mich zu konzentrieren. Die Presidents sind ok, aber eigentlich geht es um etwas anderes. Jede Art von Musik wirkt störker auf mich als irgendeine Person. Ich kann das ganze Chaos um mich herum völlig vergessen. Es beruhigt mich. Wenn ich Musik liebe, kann ich alle Leute ignorieren. Musik hören ist etwas sehr Leichtes und Befreiendes, der Umgang mit Menschen fdllt mir unendlich viel schwerer."
   Aber warum geht er dann überhaupt auf Tournee, wenn er doch sehr gut von seinen Mixen und Maxis leben könnte? ,,Es ist die Energie, die jemand anders zu deiner eigenen Idee von Musik addiert, die mich an Live-Gigsfaszi niert. Ich war schon mit DJ's auf Toui; aber eine Band ist cool, Mann, free zing. Du wartest auf etwas, das neben dir explodiert, eine Kraft, die dich antreibt. Diese Energie ist wirklich, ich meine, schau dir unseren Drummer an, der macht mich verdammt high, wenn er spielt." Mit Massive Attack dagegen war es eine Tortour: ,,Mit der Zeit wurden die Konzerte immer mehr zur Hölle, ohne jeden Spaß. Ich kenne die Jungs sehr genau, und die wußten, womit sie mich auf die Palme bringen konnten. Das komplette Gegenteil zu meiner jetzigen Gruppe. Wir respektieren einander ganz einfach deshalb, weil wir uns nicht weiter kennen, sondern nur für ein paar Monate zusammen spielen. Bei Ereunden ist das anders, da war es schon ein Problem zwischen den Persönlichkeiten, nicht bloß Musik. Jetzt gehe ich hin und sage, ich will diesen Sound, mehr Gitarre oder Bass."
   Soweit die Tricky-Psychologie in Kurzfassung. Der Mann genießt seine Widersprüche. Fr sitzt Monate lang im Studio, grübelt über das beste Sample oder den vertracktesten Beat, und tritt dann, wenn alles fertig ist, als Clown oder Spacecowboy in seinen Videos auf. Für ,The Face' post er im Hochzeits- kleid, obwohl er die ,,Bullshit"-Presse haßt. Oder er raucht noch ein Gerät. Merkwürdigerweise kann der Mensch aus Bristol, der den Sound dieser Stadt sehr beeinflußt hat, stocknüchtern über seine streng durchgearbeiteten Kon zepte reden, auch wenn das, was man dann sieht, hört und in der Magengru be wummern spürt, doch recht verwirrend ist.
  Ungewöhnlich oft taucht das Modell der Energie als Grundgedanke auf, wenn Tricky den Sound von Tricky beschreibt. Man fragt sich, ob da nicht doch etwas aus der Zeit von Massive Attack abgefärbt hat. Nur wenige Brit Hopper haben ein so ausgeprägtes Klanggefüge, das sich über Slow Motion Beats und orientalische Flöten ebenso definiert wie über Soul-Folk-Vocals von Shara Nelson bis zur Jazz-Fule Tracey Thorn. Wie kam es zum Sput mit seiner ehemaligen Band? ,,Bis aufMushroom waren alle älter als ich. Damals hatten sie ihre Punk-Zeit schon eine ganze Weile hinter sich gebracht, die Anti-Haltung ebenfalls. Ich mußte das erst noch lernen. Während die anderen sich also bereits in der Phase des Chill Outs befanden, saß ich herum, war gereizt und haßte alles. Das ging nicht gut mit uns. Während ich am liebsten aufjeden losgegangen wäre, wollten sie die ganze Bewußtsseins-Schiene, das Gefühl von Liebe vermitteln. Wir waren eben sehr unterschiedliche Persönlichkeiten."
   Tricky entschied sich gegen den relaxten Dub und arbeitete mit Industri al-Klängen. Auf ,,Maxinquaye" hat man das Gefühl, er habe eine Art Grun drauschen über die Tracks verstreut, irgendetwas nervt immer. ,,Es ist Lärm, ich habe nichts mit Musik oder Melodie zu tun. Der Lärm gibt mit ein bestimmtes Gefühl, das ich festhalten

 
 
will. Wahrscheinlich bin ich eher der Punk des HipHop. Es ist Anti-Alles. Ich stoße die Dinge vor mir her, statt zu versuchen, mich auf andere einzustellen. Von mir aus können die Leute mich deshalb ein Arschloch nennen.
   Das tun sie aber nicht. Statt dessen steht Tricky für den Bristol-Sound, genau wie Farthung, Portishead oder eben Massive Attack. Nur Trtcky sieht es völlig anders: ,,Bristol, Bristol, das ist doch alles nicht wahr. Gut, wir ken nen uns und arbeiten auch zusammen. Aber daraus wird dann ein Ding kon struiert, das sich verkaufen soll, aber nichts über die Szene besagt. Du merkst das, wenn du ,Glory Box' von Portishead mit meinem ,Hell Is Around The Corner' vergleichst. In beiden Stücken benutzen wir das gleiche Sample von Isaac Hayes. Das war zuerst ein Witz von mir. Die eine Eassung macht dar aus ein trauriges Lied, bei mir heißt es ,Hell' und ist ein schwerer Blues. Das liegt an der Herkunft - Portishead sind Mittelklasse, da komme ich nicht her."
   Vor allem ist Tricky drogenschwer, verhangen. Trotzdem kommt man heute auch damit in die Charts, wenn der Groove stimmt. Klar ist es auch eine Alternative zum derzeitigen England-Pop-Fieber, aber reicht das schon, um sich ein eigenes Image aufzubauen? Schon wird er in England abgefeiert, obwohl gerade mal eine LP und ein paar Maxis veröffentlicht sind. Es geht eben ziemlich schnell mit dem Ruhm, wenn sich die Medien darauf geeinigt haben, daß ein Schwarzer im Frauenkleid mehr hermacht als ein Armee von Take That-Klonen. Nur wofür steht Tricky eigentlich noch, außer für die Dark Side des HipHop? Er grinst: ,,Ich bin anti, anti, anti. Jedenfalls gehöre ich nicht zu Massive Attack oder Portishead, oder von mir aus auch in eine Reihe mit Blur oder Oasis. Das heißt nicht, daß ich die Musik nicht mag, mein Weg verläuft nur anders. Ich lege keinen Wert auf die Pop-Welt, ich werde mich ihr nicht an den Hals werfen, auch wenn sie sich an mich heranmacht. Nimm die nächste Platte, das Projekt Starving Souls. Es ist viel persönlicher, weniger Radio-tauglich, nur Geräusche. Ich habe die meisten Melodien rausge schmissen, außer ein paar Keyboard- und Drumbeat-Parts. Das hätte ich mit Tricky nicht gewagt, aber durch den Erfolg des Albums bin ich stärker gewor den. Auch gegenüber der Industrie. Jetzt mache ich ein Cover von Depeche Mode. Die Eirma war sehr freundlich, aber mein Manager hat mit erzählt, daß sie nicht die Bohne verstehen, was ich da vorhabe. So gefällt es mir, laß sie am Telefon ruhig den Ereundlichen markeiren."
   Das klingt alles sehr nach individuellem Künstler, nur nicht nach Straße. ,,Auch das stört mich nicht im geringsten. Ich sehe das im Vergleich zu Prince - er hat das richtige Selbstbewußtsein, er macht die Musik allein für sich, und schert sich nicht um andere. Das ist wichtig." 
  Klein-Muhammed hat gespro chen. Aber das mit Prince stimmt schon. Auch er schließt sich im Studio ein, bastelt, tüftelt, grübelt. Mit dem einen Unterschied: Prince ist smart, Tricky nicht. ,,Damit es im Studio klappt, höre ich mir vorher irgendeinen Scheiß an, den ich wirklich hasse. Dann kommt es von selbst und ich denke mir ,Ihr blöden Wichser, ihr seid so verdammt unehrlich' - und dann mache ich es besser. Ich kann Leute wie Rage Against The Machine nicht ertragen, die ganze Pose, was glauben die, wer sie sind? Der Typ, der da seine Texte auf- sagt, hat eine saubere Eamilie, ist in geordneten Verhältnissen aufgewachsen, das merkt man doch. Warum bildet der sich ein, über ,Bullets In The Head' Bescheid zu wissen? Was du nicht kennst, darüber kannst du auch nichts sagen, also soll der lieber die Klappe halten. Dieser Junge will für mich spre chen? Mann, scheiße."
   Seltsam nur, daß Tricky für seinen Song ,,Pumpkin" ausgerechnet ein Smashing Pumpkins-Sample benutzt hat. Wie geht das zusammen? ,,Ich habe ihren Song gehört, und ein paar Sekunden haben mir gefallen, der Rest naja. Das ist dann eine Erage der Street-Seite des Lebens. Wo die einen jemanden ausrauben, nehme ich mir ein Sample und sage fuck off!'. Das ist meine Art, ich bin ein Dieb. Glaub doch nicht, daß jedes Sample nur ein Kompliment ist. Du nimmst ein Zitat und sagst damit ,You fucking idiot'. Im Grunde geht es um einen Wettbewerb, das gefällt mir. Man muß sich anstrengen und die bes seren Ideen haben. Dann ist auch das Klauen in Ordnung. Wenn jemand eine tolle Platte macht, werde ich rasend, weil ich sie nicht gemacht habe. Wenn ich andererseits eine Rock-Eassung von Public Enemy aufnehme, dann habe ich das Gefühl, etwas verändert zu haben. Nimm das Album von den Passan gers, das ist doch eine verzweifelte Angelegenheit. Die wollen etwas Neues machen und wissen nicht wie. Bono hat noch vor kurzem von TripHop gesprochen. Der arme Kerl, hat ihm denn keiner erzählt, daß es TripHop gar nicht gibt, daß es nur eine clevere Erfindung ist? Das ist doch ein Schrei nach Hilfe von Leuten, die nicht mehr die Kraft haben, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen."

HARALD FRICKE

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 photos: Stefan Matzkorn

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