Big New Tricky
"Früher war es nur meine Musik, die sich geändert hat, inzwischen ist es auch der Mensch Tricky, der um Veränderung bemüht ist. Meine Musik war noch nie etwas anderes als der Ausdruck meiner jeweils aktuellen Stimmung."

"It sounds biiiig! It sounds neeew! And it sounds TRICKY!" Das sagt Adrian Thaws über sein sechstes Album "Blowback". Die Euphorie ist verständlich, begründet und mit ein bisschen Glück demnächst auch ein richtiges Massenphänomen. Denn obwohl es der 37-jährige bislang noch mit jedem Album verstanden hat, ungewöhnliche Reaktionen zwischen anerkennender Sympathie, verwundertem Respekt, blankem Unverständnis und hoffnungsloser Überforderung hervorzurufen: So überrascht hat er noch nie. Schluss mit dem Fluch des spinnerten, unverkäuflichen Kultstars für Selbstmörder und Dauerkiffer - jetzt wird Popmusik gemacht!

Das passiert einem halbwegs routinierten, mit monatlichen Neuveröffentlichungen ausreichend gesegneten Musikschreiberling auch nicht alle Tage: Seit knapp einer Woche schon liegt die neue Tricky-Platte direkt neben meinem CD-Player, bislang völlig jungfräulich. Keinesfalls aus Desinteresse, eger wegen der eindeutig zweideutigen Worte, die vom zuständigen Promoter telefonisch voruasgeschickt wurden: "Nimm dir ein bisschen Zeit für die Platte. Sie ist, nun ja, anders. Hör am besten selbst."
   Selbsteredend.Man ist schließlich Fan, will nicht gestört werden und sich bei passender Gelegenheit - vielleicht nach dem nächsten Amoklauf - mit den neuen Keuchhustensounds, anarchischen Computerpunk- Metastasen und intonierten Paranoia-Strukturen beschäftigen. Spätestens seit den vier mal fünf Minuten Fegefeuer auf der zermürbend psychotischen letzten EP "Mission Accomplished" wissen wir doch: Tricky verstehen ist Arbeit, das hat nichts mehr mit Spaß, Entertainment oder tumbem Musikkonsum zu tun.
   Als er geschieht, der erste Kontakt zwischen ,,B/owback" und mir, ist eigentlich alles vorbereitet. Es ist sehr spät Nachts irgendwann mitten unter der Woche, es regnet draußen in Strömen und in der Wohnung ist es unaufgeräumt. Desweiteren wurde sichergestellt, dass Substanzen der Hirnverlangsamung alle Rationalität und Logik gelöscht haben - man reagiert nur noch auf Basisimpulse und lässt Dinge einfach passieren, ohne zu hinterfragen. Optimale Bedingungen für Trickys Neue. Also hinsetzen, Platte hören. Und dennoch: Trotz aller sorgsam getroffenen Vorkehrungen gibt es 50 Minuten später doch Fragen, zwei an der Zahl. Nämlich: Wie jetzt?, und vor allem: Warum?.
   Tricky, die ewige Nummer eins auf der Abwärtsspirale der selbstzerstörerischen Songpsychosen, entdeckt Popmusik mit Tiefgang. Zugängliche, warme, ja geradezu freundliche und manchmal einfach wunderschöne Musik umschmeichelt dich wie eine große facettenreiche Songwolke aus Goldstaub, Schnee, lieblichen Melodien und Coffeeshop-Gemütlichkeit. Dub, TripHop, Soul, Downbeat und handzahmer Funkmetal, giftiger Ragga, harte Raps, echte Männer- und tolle Frauenstimmen, alles das ist mit dabei.
   ,,Blowback" - und das ist auch so ziemlich das einzige, das noch an frühere Zeiten erinnert - ist mit jedem Ton, jeder Stimmung, jeder Faser ein Tricky-Album. jedoch eines, das den Hörer lieber mit subtiler Gefälligkeit umgarnt und ihn sich zum Freund macht, anstatt ihn rüde vor den 
Kopf zu stoßen. Und zwar mit einem Tiefgang, der zwar staunen lässt, aber nicht von ungefähr kommt: "Zum ersten Mal seit ,Maxinquaye' habe ich mich dazu aufraffen können, an Songdetails zu arbeiten und die Musik kontinuierlich wachsen zu lassen." So klingt es also, wenn sich Tricky Mühe gibt. Und mit dem Wissen um ,,Blowback" erscheint auch seine oft beteuerte Feststellung, alle seine bisherigen Alben seien nichts weiter als flüchtige Momentaufnahmen und halbfertige Demos, in einem völlig anderen, nachvollziehbaren Licht.
   Bleibt die Frage nach dem Warum. Wo kommt diese ganze Positivität und Lust zur Musikalität her? "It's all about growin'. Man lernt dazu, jeder von uns jeden Tag. Es liegt an dir, ob du das Gelernte für dich akzeptierst und auf den Leben anwendest. Für mich war die bedeutsamste Lehre der letzten zwei Jahre, besser auf mich aufzupassen. Ich komme jetzt viel besser mit mir selber zurecht." Man glaubt es aufs Wort - Tricky, mit blankem Oberkörper, nackten Füßen und einem angedeuteten Iro auf dem Schädel, sieht gut aus an diesem sonnigen Nachmittag auf einer Kölner Hotelterasse, viel besser und vitaler als noch vor einem guten halben Jahr, als wir uns zum ersten Mal trafen.
   Das alles kam folgendermaßen: Tricky kennt seit ein paar Monaten die Gründe für sein gesundheitliches Problem, das ihn jahrelang unter Drogen, im Delirium und somit in Schach hielt. Eine seltenen Krankheit, bei der bestimmte Nahrungsmittel die Schwächung des eigenen Immunsystems hervor rufen und dem Betroffenen auch psychisch zusetzen. Seit er auf Diät ist, geht's voran: ,,Die Krankheit lässt sich zwar nicht heilen, aber zumindest weiß ich jetzt, wie ich mich schützen kann. Es ist fantastisch, sich zum ersten Mal seit Jahren nicht ständig totkrank zu fühlen."
   Klar, dass diese wohl radikalste Veränderung seiner körperlichen und psychischen Verfassung sich mit gleicher Vehemenz auf die Musik auswirken würde - denn nur darum geht es: ,,Um Veränderung. Jedes meiner Alben klint völlig anders als alle anderen, selbst die EPs sind eigenständig. Ich habe mich jedes Mal, von Platte zu Platte, radikal anders definiert, nach einer neuen Ausdrucksform gesucht. Früher war es nur meine Musik, die sich geändert hat, inzwischen ist es auch der Mensch Tricky, der um Veränderung bemüht ist. Dass das einen direkten Einfluss auf meine Musik hat ist klar, zumal meine Musik noch nie etwas anderes war als der Ausdruck meiner jeweils aktuellen Stimmung."
   So sehr ihm das alles geholfen hat - zu einem eitel Sonnenschein wird er deshalb noch lange nicht. Insofern sind die Kursänderungen auf ,,Blowback" auch nur zum Teil

 
auf seine verbesserte Lebenssituation zurückzuführen. "Ich habe nach einem neuen Weg des Ausdrucks gesucht. Ich hatte das Ziel, ein universelles Album zu machen, das man überall versteht und das vor allem eines sein soll: Besser als ,Maxinquaye', und zwar in jeder Hinsicht. Denn ich kann die Leute einfach nicht mehr hören, die mir immer wieder erzählen wollen, dass das mein stärkstes Album gewesen ist, nur weil es am Besten verkauft hat. I want to destroy that ,Maxinquaye'-thing!", echauffiert er sich und schiebt nach:
,,Ich weiß, dass es für mich jederzeit ein leichtes
gewesen wäre, innerhalb von Wochen ein zweites ,Maxinquaye' zu schreiben. Doch daran hatte ich kein Interesse. Ich habe noch nie ein Album zwei mal gemacht. Nicht anders verhält es sich mit ,Blowback': Ich wollte einfach wieder etwas Neues, ganz anderes machen."
   Doch noch ein weiteres Ziel trieb ihn an, für das er bisher nicht gerade bekannt war: ,,Ich will Grenzen einreißen. Ich will endlich einmal wieder Tricky-Songs im Radio hören, mein Video auf MTV sehen und ich hoffe sehr, dass dieses Album richtig erfolgreich wird." Das hofft natürlich jeder Künstler. Money makes the world go round, und von einigen versprengten Die Hard-Fans und einem unbestreitbaren Kultstatus als Mitinitiator eines Musikstils, den man in seiner Gegenwart niemals TripHop nennen sollte, kann man auch nicht ewig leben. Oder? ,,So ein Quatsch, Geld ist üherhaupt niicht der Punkt. Sicher, durch Credibility hat man noch lange keine gedeckten Schecks, und ich habe überhaupt nichts dagegen, mit meiner Musik Geld zu verdienen, aber darum geht es nicht. Mir geht es um Respekt. Ich höre verdammt viele erfolgreiche Produktionen, die ganz offensichtlich extrem durch meine Musik beeinflusst sind. Doch die Kids, die sich dieses Zeug dann kaufen und anhören, haben noch nie etwas von mir oder meiner Musik gehört. Das wurmt mich tierisch."
   Ginge es nach der Meinung dieses Magazins, kann dem Mann geholfen werden - verdient hat er sich so einen
richtigen Platin-Abräumer von einem Album schon lange, 
und mit ,,Blowback" könnte das auch durchaus drin sein. Ein bisschen skurril ist das alles dennoch. Erinnern wir uns kurz an die ,,Mission Accomplished"-EP und ihre vordergründigste Botschaft, die da hieß: Arsch lecken. Gegen Kinventionen, Kompromisse und Kommerzialität,  Journalisten, Musiker und vor allem gegen Plattenfirmen und Medienfuzzis. ,,Divine Comedy" diese sechs Minuten Musik gewordene Klapsmühle mit den unaufhörlichen ,,Fuck Polygram!"-Schreien im Hintergrund, ist bis heute das wohl kompromissloseste auf Platte gepresste Zeugnis eines Musikers, der seinem Arger über die bösen Geschäftemachereien mit der Musik freien Lauf lässt.
   Das ist gerade mal acht Monate her, doch alles ist viel besser jetzt. Sagt er. Er wurde aus seinem verhassten Majordeal mit ,Island' entlassen und veröffentlicht fortan auf dem kleinen Epitaph-Sublabel ,Anti'. Kaum dort angekommen, macht er plötzlich auf dicke Pop-Hose und mit ,,Blowback" die Platte für die Massen, auf die sein ehemaliger Arbeitgeber vier Alben lang vergeblich gewartet hat. Ist das jetzt Ironie des Schicksals, pure Böswilligkeit oder reiner Zufall? ,,Bad timing war das, sonst nichts. Ehrlich gesagt tut mir ,Island' fast ein bissehen leid, denn sie hatten es nicht leicht mit mir. Aber niemand konnte absehen, dass sich das mit mir und meiner Musik so entwickelt, am wenigsten ich selber."
   Spricht's, funkelt mächtig misstrauisch aus den Augenschlitzen und will wissen: ,,Was meinst du, geht das Album in die Charts? Es muss einfach. Es muss. I want to be on ,Top of the Pops' to fuck up all this Boygroup crap!" Und er geht noch weiter: ,,Diese Platte wird das formatierte Pop-Radio revolutionieren, achte drauf. ,Blowback' wird die Initialzündung zu einem neuen Trend: Authentische, anspruchsvolle Popmusik zu machen, die trotz ihrer Ernsthaftigkeit straight in die Top Ten geht. Ich hätte gerne wieder Zustände wie in den Achtzigern: Da waren noch fast alle Songs in den Top Twenty richtig gute, ernstzunehmende Musik."

 
  Cyndi Lauper zum Beispiel. Die Achtziger Pop-Lady bekam als Studiogast (neben anderen illustren Genossen wie Alanis Morissette, Ed Kowalczyk von Live sowie drei der vier Chili Peppers) die Gelegenheit, ,,Blowback" mit ein bisschen Pop-Glamour aufzumotzen. Sieh an: Der Herr umgibt sich neuerdings sogar mit Studiogästen, und das, obwohl es beim letzten Interview noch hieß, dass er inzwischen sogar die Musiker seiner langjährigen Begleitband im Studio kaum noch ertragen könne.
   ,,Es ist ja nicht so, dass ich tagelang mit einem Haufen von prominenten Musikern im Studio abgehangen habe und lustig rumgejammt hätte. Die Tracks waren alle im Prinzip fertig eingespielt von mir und meinen Musikern, bevor die Gastmusiker hinzu kamen. Nimm die beiden Songs, die die Plattenfirma jetzt mit ,feat. Red Hot Chih Peppers' promotet. Der Song war fertig, John Frusciante und Flea kamen vorbei und spielten ein paar Gimmicks obendrauf und haben ein bisschen gesungen. Schön. Im Prinzip lief es also wie immer: Nämlich nur zu meinen Bedingungen."
   Fast könnte man vermuten, dass hinter den gesammelten Gastauftritten nichts weiter als berechnendes Kalkül steckt. Ein paar Celebrities fürs lässige Namedropping haben schließlich noch keinem Hit-Album geschadet. Provokant ausgedrückt: Frau Morissette als Esel vor dem Karren, der eingefleischte Mainstream-Fans in die ,,Blowback"- Scheune schleppt? Cyndi als Appetit-Häppchen für die Ü30-Fraktion? Zwei mal funky Mädelsaufreiß-Musik mit den coolen Chilis, die den Skater- und Crowdsurfer-Mob mobilisieren, während ,Quotenrocker' Ed Kowalczyk der Grunge-Bagage Bescheid stößt? Gar nicht dumm, so eine kleine Armee aus Celebrity Söldnern der unterschiedlichsten Couleur, mit denen man prima die sonst unerreichbaren Musikhörer zu Rekruten des guten Pop-Geschmacks machen kann.
   Ups, da denkt Tricky nach. Und zwar so lange, dass ich mir gleich mehrmals die Frage stelle, ob das jetzt das berühmte Tüpfelchen auf dem I war, das schon so manches seiner Interviews zu einer unflätigen Schimpfkanonade werden ließ. Aber nein, das war früher, heute passiert etwas anderes: Tricky lächelt. Ganz vorsichtig zwar, aber immerhin. "War das tatsächlich dein erster Gedanke, als du die Credits gesehen hast?", fragt er interessiert. Nun, vielleicht nicht der erste, aber wo wir schon über Charts, ,Top of the Pops' und neue Fankreise sprechen, ist das Gaststar-Glücksrad nicht mehr weit.
   ,,Das ist interessant: Näher betrachtet liegst du gar nicht so falsch mit dem, was du da sagst. Dabei war das absolut nicht geplant, die Konstellation der Gäste ist reiner Zufall. Things happen for some reasons. Es gibt keinen Song auf dem Album, bei dem ich von vornherein auf eine
Kollaboration hingearbeitet hätte. Ich habe keinen angerufen, sie sind zu mir gekommen, sie kommen immer zu mir. Die Chili Peppers fragen mich schon seit fünf Jahren, ob sie mal auf einer Tricky-Platte mitspielen dürfen."
   Und auf diese Weise kommt man auch an Leute wie Cyndi Lauper? Immerhin ist dies ihr erstes Lebenszeichen seit ewig. ,,Ich mag ihre Stimme und wollte schon länger mal was mit ihr machen. Eines Abends sitze ich im Studio und arbeite gerade an ,Five Days' da ruft sie plötzlich an, um einfach mal Hallo zu sagen und zu fragen, was ich gerade mache. Also spiele ich ihr den fast fertigen Track durchs Telefon vor, und sie sagt nur: ,Das ist schön.' Und ich frage: ,Hättest du Lust, rüberzukommen und etwas dazu zu singen?', und sie: ,Sicher.'"
    Daneben gibt es aber auch Beteiligte, die einen tiefer gehenden Input hatten. Wie der aus Jamaica stammende Rapper Hawkrnan, dessen: variable Mic-Fähigkeiten sich wie ein roter Faden durch die gesamte Platte ziehen. Innerhalb kürzester Zeit wurde er zu einem guten Freund, durch den der Wahl-New Yorker Tricky zu ganz profanen Dingen beflügelt wurde, die er seit seinen Bristoler Kindertagen nicht mehr gemacht hat: ;,Wir fahren von Zeit zu Zeit in seinem kleinen Toyota durch die Nachbarschaft in der Bronx, suchen uns irgendwo ein Soundsystem, schnappen uns die Mikros und rappen einfach los. Ganz wie damals, als ich 16 war."
    Schlussendlich ist da noch Ambersunshower, eine junge Sängerin mit einer wunderschönen warmen Stimme, die mehr als nur latent an Martina erinnert, Trickys langjährige Freundin, musikalische Begleiterin und Mutter seines Kindes. Da stellt man sich die Frage: Warum nicht gleich Martina? ,,Das wurde nicht mehr funktionieren mit uns, es ist in der Vergangenheit zu viel passiert. Wir haben zwar inzwischen wieder ein ziemlich gutes Verhältnis, was lange Zeit nicht so war, aber mit ihr zu arbeiten würde unserer Beziehung sicherlich nicht gut tun. Außerdem arbeitet sie derzeit an ihrem ersten Solo-Album. Und was ich bislang gehört habe, ist fantastisch."
   Fantastisch sind derzeit auch seine eigenen Aussichten: Die Welt ist heiß auf ,,Blowback" - in allen wichtigen Musikmärkten verzeichnete das Anfung Juli veröffentlichte Album auf Anhieb hohe Chartsnotierungen. Die Single ,,Evolution Revolution Love" wird von Musik-TV- und Radio-Sendern mit wohlwollendem Dauereinsatz bedacht. Auch privat hat Tricky kräftig aus gemistet, eine neue Stadtwohnung in Manhattan und ein Haus auf dem Land bezogen. Er trifft sich viel mit Freunden, kümmert sich um seine Tochter, kifft weniger, hält fleißig Diät und arbeitete daran, ein aufgeräumter Mensch zu werden. Good to have him back.

Sascha Krüger

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  photos: Anton Corbijn
 
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