VISIONS Im Gespräch mit Tricky
My life is still fucked up. Nicht völlig 
verkorkst, so wie vor drei Jahren noch, aber 
es ist auf jeden Fall noch eine Menge zu tun.
Tricky, wasbedeutet dir Musik?
,,Keine Ahnung. Wirklich, keine Idee. Mal überlegen... Sie ist eine Möglichkeit für mich. Eine Möglichkeit, Geld zu verdienen, mein Kind zur Schule schicken zu können, durch die Gegend zu reisen..."

Könntest du dir vorstellen, mit Musik ganz aufzuhören?
,,Ja, absolut kein Problem. Ich kenne eine Menge Musiker, die nicht auffiören können, obwohl es an der Zeit wäre. Sie machen aber nicht weiter, weil sie die Musik so sehr lieben, sondern nur wegen des Profils, des öffentli chen Interesses, von dem sie nicht genug bekommen können. Ich war jetzt knapp zwei Jahre überhaupt nicht in den Medien, habe keine Interviews gegeben, und es war eine großartige Zeit. Ich würde dem Ruhm keine Sekunde nachtrauern. Aber ich muss Geld verdienen, also mache ich weiter. Hätte ich genug Geld, würde ich sofort aufhören."

Also bitte, ich kann nicht glauben, dass du am Hungertuch nagst.
,,Nein, das nicht gerade. Aber erstens habe ich einen gewissen Lebensstandard, auf den ich nicht verzichten will, außerdem bezahle ich mein Studio, meine Produktionen und so weiter komplett aus der eigenen Tasche."

Wohl ein schlechter Geschäftsmann?
,,Das auch. Aber der Hauptgrund: Mir ist es lieber so. Dafür habe ich wenigstens die Garantie auf hundertprozentige musikalische Freiheit."

Könntest du dir vorstellen, etwas völlig anderes mit derselben Energie und Inten sität zu verfolgen wie Musik?
,,Die Frage beinhaltet, dass es für mich aufrei bend oder anstrengend wäre, Musik zu machen, aber das ist es nicht. Musik ist für mich keine Kunstform, sondern der denkbar einfachste Prozess, den ich überhaupt verfol gen kann. Es ist einfacher als Kochen, Schachspielen oder Autofahren. Es ist wie essen. Ich hatte auch noch nie so etwas wie eine Schreibbiockade oder ein kreatives Loch
- so ein Scheiß ist doch nur eine Ausrede von Leuten, die nichts können."

In welchem Mter war dir klar, dass du Profi musiker werden würdest?
,,So mit 15. Damals entschied ich mich, ein Vocalist zu werden, nicht Musiker. Das mit der Musik kam später."

Gab es einen besonderen Anlass, der deine Entscheidung herbei geführt hat?
,,Ja, als ich zum ersten Mal Slick Rick gehört habe. Ich habe mich hingesetzt und seinen Wortvortrag bestimmt 500 Mal gehört, und ich wusste: Das ist es."

Wie genau habe ich mir das vorzustellen? Du sitzt in deinem Studio, rauchst dir einen Jomt und lässt die Maschinen machen?
,,Ich spiele einfach herum, mit Keyboards, Samplern, Effekten, und nehme alles auf. Dann setzte ich mich hin, höre dem Aufgenommenen zu und spiele an den besten Stel len etwas darüber. Und das nächste,

was du weißt, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht zu haben, ist, was noch fehlt. Du musst einfach genau zuhören, die Dinge hin ein hören, die noch fehlen. Es ist so einfach, weil es alles von ganz alleine kommt."

Und woher weißt du, wann ein Song fertig ist? Hört man das auch heraus?
,,Kein einziger meiner Songs ist fertig, fast alle meine Platten sind Demos."

Jetzt hör' aber auf.
,,Nein, ganz im Ernst. Dieser ganze Prozess - Proben, Demos aufnehmen, Vorproduktionen machen, Aufnehmen, Abmixen, Produzieren - ist mir völlig zuwider. Ich nehme auf ~nd mixe. Fertig! Alles, was mir nicht sofort gefällt, schmeiße ich weg; ich habe schon unglaublich viel weggeschmissen. Der Entste hungsprozess eines Tracks ist fast nie länger als 12 Stunden vom ersten Sound bis zum fer tigen Stück."

Das überrascht. Manche deiner älteren Sachen klingen schon verdammt perfektio nistisch, wohingegen die neue EP sehr spontan und improvisiert klingt.
,,Ein Perfektionist bin ich ganz sicher nicht. Da sind so unglaublich viele heftige Fehler in meiner Musik, aber ich bin zu faul, sie auszu merzen. Und mich stören sie auch nicht wirk lich."

Ein solcher Entstehungsprozess hat schon unweigerlich mit Drogen zu tun, oder täusche ich mich da?
,,Nein, da hast du wohl schon Recht. Es funk tioniert zwar auch ohne, aber mit geht's doch entschieden besser."

Daher vielleicht auch die Faulheit, Songs fertig zu machen?
,,Kann schon sein. Aber das ist auch nicht wichtig."

Ist es wirklich immer purer Spaß für dich, im Studio zu sein? Manche deiner düsteren Brocken klingen so gar nicht nach Spaß.
,,lt's the greatest fun on earth. Wenn du im Studio bist, gibt es keine Verantwortung mehr. Du musst nicht ans Telefon gehen, kannst die Tür zusperren. The studio is my world. Es ist wie Meditation. Schöne, beruhigende Meditation."

Nenne mir die drei wichtigsten Elemente, die dazu führen, dass Musik, so wie du sie dir vorstellst, funktioniert.
,,Dass ich tun kann, was ich will, dass es absolut keine Regeln gibt, keine Strukturen oder gespielte Akkorde. Und inzwischen wohl auch, dass ich alleine bin. Andere können mittlerweile nicht mehr nachvollziehen, was ich da im Studio mache. Und die anderen nerven mich mit ihren Riffs und festgelegten Beats."

Gab es schon Veröffentlichungen von dir, die du im Nachhinein lieber nicht heraus gebracht hättest?
,,Oh ja, da gibt es einiges. Aber ich darf darüber nicht nachdenken, weil es mich sonst völ lig verrückt macht. You gotta keep moving, es ist eh zu spät, du kannst es nicht mehr ändern."


 
 
Warum hat es dir später leid getan?
,,Weil ich wusste, dass es gut ist, aber die Leute es gehasst haben, und ich wieder ein mal die Bestätigung hatte: Das vestehen die nicht, vergebliche Liebesmüh. Zu hoch für die meisten."

Hast du manchmal Probleme mit deinem Ego?
,,Nein, eher selten. Warum?"

Du scheinst schon sehr stolz auf deinen Sound zu sein.
,,Absolut."

Auf alles?
,,Ja, selbst - oder gerade - auf die Sachen, die von den anderen nicht gemocht werden. Ich habe keine Lust auf Kompromisse. Ich würde nie etwas machen, nur weil ich denke, dass das den Leuten gefallen könnte. Ich weiß, dass alles gut ist, was ich nicht sofort wieder wegschmeiße."

Worauf  bist du sonst noch stolz?
,,Obwohl ich in England häufig als Verräter tituliert werde, weil ich meistens in den Staa ten lebe, bin ich stolz darauf, ein Europäer zu sein. Gerade in Amerika. Dort ist es klas se, der Europäer zu sein. Ich bin einfach irgendein Engländer. Dabei geht es noch nicht mal um England, sondern um Europa, um die eigene Kultur in diesem kulturlosen Disneyland. Worauf ich noch sehr stolz bin, ist, wie ich aufgewachsen bin. Sehr, sehr stolz."

Erzähl' davon.
,,Ich denke, ich habe eine sehr einzigartige Kindheit erlebt. Meine Mutter hat sich umge bracht, weil sie durchgedreht war. Und mein Vater ist ohnehin ein Arschloch, ich habe ihn zum letzten Mal mit zwölf gesehen. Ich bin von Familie zu Familie hin und her geflogen, von der Tante zur Oma zur Nanny. Seit mei ner Geburt habe ich schweres Asthma, ich bin sowieso ununterbrochen krank. Auch auf diese Dinge bin ich stolz, denn ich bin immer noch hier, ich habe all das überlebt. Ich bin nicht Mommy's oder Daddy's Boy' ich bin mein ganz eigener Charakter. Ein ziemlich durchgeknallter, klar, aber ich kann stolz darauf sein. Schließlich bin ich so zu dem geworden, der ich bin."

Wie gehst du mit all diesen Erfahrungen um?
,,Ich lerne. Ich versuche zu lernen, wie das Leben funktioniert. Ich bin jetzt 32, und in meinem Leben herrscht immer noch ein absolutes Chaos. Ich versuche, mein ganzes Dasein Stück für Stück in geordnete Bahnen zu lenken. My life is still fucked up. Nicht völ lig verkorkst, so wie vor drei Jahren noch, aber da ist noch eine Menge zu tun. Ich habe zumindest schon mal das Saufen dran gege ben und aufgehört, Koks zu rauchen. Ich rauche zwar immer noch viel Weed' aber wir wollen es für den Anfang auch nicht über treiben mit den Einschränkungen."

Mal am Rande: Wie passt das Rauchen der unterschiedlichsten Substanzen und dein schweres Asthma zusammen?
,,Überhaupt nicht."

Es war ja schon häufiger zu lesen, dass du das aus medizinischen Gründen tust.
,,Ja, ist das nicht lustig? Das ist natürlich völ liger Unfug, aber irgendeine Zeitung hat das mal in die Welt gesetzt, und dann wurde es mehr oder weniger offiziell verbreitet. Mir war das nur Recht, denn seitdem habe ich einen legitimierten Grund gehabt, mir Dro gen einzufahren."

Hast du dein zweifellos recht schweres Schicksal schon mal als Fluch betrachtet?
,,Nein, für mich ist es kein Fluch, das wäre mir zu ausweglos. Für mich ist es Teil meines Lernprozesses über das Leben. lt's about me' about my life. Sicher, all das hat seine Aus wirkungen auf mich. Ich kann zum Beispiel nicht für fünf Minuten still sitzen, ich habe ein extrem hohes Suchtpotenzial' in jeder Beziehung. Aber es ist kein Fluch, denn ich kann all diese Fehler meiner Kindheit korri gieren. Es ist ein harter Job, aber manche gehen eben weitere Wege als andere."

Demnach müsste es dir auch ein Graus sein, dass du eine Person des öffentlichen Interesses bist. Das macht die Selbstfindung schließlich nicht gerade einfacher... 
,,Ach, so schlimm ist das nicht. Ich tue ja auch nichts dafür, erkannt zu werden. Wenn du nicht willst, dass man dich erkennt, passiert das auch nicht."

Naja' du hast schon ein ziemlich eigenwilli ges und signifikantes Äußeres. Ich schätze, ich würde dich erkennen.
,,Würdest du definitiv nicht. Ich habe damit eine Zeit lang herum experimentiert und ganz genau heraus gefunden, was du tun musst, damit dich alle erkennen, und was zu unterlassen ist, damit du unerkannt bleibst. Mir gelingt es inzwischen, selbst in Clubs in London oder Bristol völlig unerkannt zu blei ben."

Wie machst du das? Bart ankleben und Mütze in die Stirn ziehen?
,,Ach, so etwas ist gar nicht nötig. Es reicht, sich schnell und möglichst normal, also unglamourös' zu bewegen, dann erkennt dich keine Sau. Wenn du den Kopf hoch trägst, überall herum schaust und durch deine Erscheinung die Blicke auf dich ziehst, wirst du natürlich innerhalb von Sekunden erkannt."

Entspricht das Bild, das gemeinhin von dir in der Öffentlichkeit dargestellt wird, überhaupt dem richtigen Tricky?
,,Das Bild, das die Massenmedien von mir zeichnen, hat so gut wie nichts mit mir zu tun. Aber ich bin froh darum, das schafft Freiräume."

Was sind denn die größten Missinterpretationen deiner Person?
,,Ich habe zum Beispiel überhaupt nichts von diesem melancholischen, ja trübsinnigen Charakter, der mir oft nachgesagt wird. I'm a bit of a joker. Wenn ich mit Freunden zusam men bin, lachen wir die ganze Zeit, und die meisten Witze kommen von mir. Außerdem wird oft von meiner Musik auf mein Wesen geschlossen. Völliger Blödsinn. So bin ich nicht."


 
 
Lassen dich solche Fehlurteile kalt? Oder gehen sie dir nahe?
,,In der Regel sind sie mir vollkommen egal. Aber es gibt Ausnahmen."

Zum Beispiel diesen ,Face'-Artikel, in dem dir seelische Grausamkeit nachgesagt wird, weshalb dich angeblich auch Martina Topley-Bird verlassen hat, und wo man darauf herum reitet, was für ein schlechter Vater du seist?
,,Du bist gut vorbereitet, muss ich schon sagen. Ja, das war der schlimmste Artikel, der je über mich geschrieben wurde. Das einzige Mal, dass ich wirklich verletzt und getroffen war, denn es ging zu sehr in meine Privatsphäre."

Hat die Vaterrolle dich sehr verändert?
,,Oh ja. Ich würde zwar nicht so weit gehen zu sagen, dass ich davor selbstmordgefähr det gewesen wäre, aber es war mir extrem egal, was mit mir passiert. Jetzt habe ich Verantwortung für so ein kleines Wesen, ich muss gut auf sie aufpassen, bis sie minde stens 16 Jahre alt ist. Mindestens 16, wenn es nach mir geht, auch gerne länger. Deshalb passe ich jetzt auch viel besser auf mich selber auf."

Was ist das Schwierigste am Vater sein?
,,Das ,für sie da sein'. Ich bin jemand, der viel Zeit für sich selber braucht, damit ich mit mir klar komme. Außerdem geht meine Tochter in England in den Kindergarten - sie wollte das so -, und ich lebe einen Großteil meiner Zeit in New York und fliege nur oft rüber. Es tut so weh, von ihr getrennt zu sein, sie nicht zu sehen, ihr helfen zu können. Die Liebe zu einer Tochter ist das extremste Gefühl, das ich jemals in meinem Leben erlebt habe. Hast du eine feste Freundin?"

Ja.
,,Nun, dann wirst du wissen, was es heißt, von ihr getrennt zu sein. Und nun potenziere dieses Gefühl mal zehn, denn eine Tochter zu lieben ist der strangest fuckin' vibe, der mir je begegnet ist. Das macht dich fertig."

Und du? Hast du eine feste Freundin? 
,,Nein, schon länger nicht mehr."

Ist es schwer, Trickys Freundin zu sein?
,,Ja, aus vielerlei Gründen. Zu allererst: Ich finde mich hässlich. Wahnsinnig hässlich. Außerdem bin ich viel zu selbstsüchtig. Eine Freundin möchte ausgeführt und beschäftigt werden. Wenn ich keine Musik mache, reicht es mir völlig, zu Hause zu sitzen, in die Glotze zu schauen und ihre Nähe zu spüren. Frauen wollen Aufmerksamkeit, und dafür bin ich der vollkommen falsche Ansprechpartner. Denn ich habe meine Musik, das reicht mir."

Was bedeuten dir zwischenmenschliche Beziehungen im Allgemeinen?
,,Nun, nicht so viel. Ich bin sehr viel alleine und will das auch so. Und selbst wenn ich mit anderen zusammen bin, fahre ich meinen ganz eigenen Film. Ich war immer schon der Outsider, schon damals in den Familien, in denen ich aufwuchs. Ich habe wirklich viele Freunde, in Bristol, London, New York, aber auch diese Freunde verstehen mich nur bis zu einem gewissen Grad. Selbst meine engsten Freunde sind davon überzeugt, dass ich schizo bin."

Harter Schwenk' aber es passt gerade: Hilft dir diese Schizophrenität auch beim Spie len der unterschiedlichen Filmrollen?
,,Ja, total, denn ich brauche überhaupt nicht zu spielen. Ich brauche nur eine andere Facette meiner Persönlichkeit hervor zu heben, dann passt es schon für jede x-beliebige Rolle."

In welcher Rolle fandest du dich am Besten?
,,Keine Ahnung, ich habe keinen einzigen Film gesehen, in dem ich mitspiele."

Jetzt nimmst du mich aber endgültig auf den Arm.
,,Nein, todernst, mich interessiert das über haupt nicht."

Noch nicht einmal ,,Das fünfte Element"? 
,,Nein. Ist der gut?"

Ja, sehr. Solltest du dir unbedingt ansehen.
,,Ehrlich? Mal schauen, vielleicht tue ich mir das mal an."

Solltest du. Warum spielst du dann über haupt in Filmen mit?
,,Es ist dasselbe wie mit der Musik: Wegen der Möglichkeiten. Wie viele Bristoler Straßenkids' die nichts mit ihrem Leben anzufangen wissen, bekommen schon die Chance, in fetten Hollywood- Produktionen mitzuspielen, dafür noch schickes Geld zu kassieren und überhaupt dermaßen auf dicke Hose zu machen?"

Nicht allzu viele.
,,Eben. Und das ist der Grund, warum ich so ziemlich alles tue: Wegen der Möglichkeiten, die ich mir selber erarbeitet, und der Freiräume, die ich mir geschaffen habe. Ich hätte nie gedacht, mit meiner Ausgangssituation jemals in ein derart komfortables und abwechslungsreiches Leben zu rut schen. Das ist vielleicht die Sache, auf die ich am meisten stolz bin."

Sascha Krüger

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 photos: P.Harries
 

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