Fundamentale
Unmutsäußerung
(darüber, daß sich die ungerechte Welt und der an dieser leidende Körper niemals verständigen können, geschweige mittels ihrer Musik) |
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TRICKY ist kein Neuling mehr auf diesen Seiten. Das letzte Mal (6/98) sprach aus seinem Mund eine Schar von ldentitätspolitiken, während seine Musik, noch immer sehr beeindruckend, sich vom Hier und Heute zu verabschieden begann. Ist er jetzt endgültig im Abseits? Oder erlebt man mit ihm die Stunde vor dem Wachwerden, wenn Deine Träume oder Lieblingssätze am deutlichsten sind und hinterher am besten erinnert werden können? ANNETT BUSCH war ausgeschlafen genug und hat alles aufgeschrieben. Fotos: KATRIN GEILHAUSEN. | ||
[Frei nach Ronald M. Schernikau] |
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Scheisse als
Kognitive Dissonanz
»The world is shit, the world is shit. This is a shit world.« Nach einer dreiviertel Stunde Interview ist es ausgerechnet dieser Satz, der sich in meinem Ohrgewinde festgesetzt hat und noch tagelang vor sich hinloopt. Weniger als Satz, eher als ein tiefer, rauher Akkord, bei dem »shit« wie ein unkontrollierter Pegelausschlag nach oben ausbricht und gleichzeitig von einer durchgängigen kehligen Baßlinie gebrochen wird. Der Satz könnte an jeder Klowand stehen, ohne irgendeine Bedeutung, so wie er hunderte millionen Mal an Tausenden von Orten erneut ausgekotzt und lamentiert wird und sich dadurch wohl nur höchst selten das geringste ändert. Ein dahingeworfener Satz, bei dem Erkenntnis, Resignation, Haß, End- und Anfangspunkt gleichzeitig aufeinander treffen und man sich beim Aussprechen wohl alles andere als komplex fühlt. Dessen Konsequenz und wortwörtliche |
Bedeutung aber
nur schwer für länger auszuhalten sind - und damit beginnt alles
von vorne. Der Satz markiert eine Bruchstelle im Rede- und Antwortspiel,
denn bei Tricky hört er sich an wie eine universelle Weltformel.
»This is a shit world« ist keine Unmutsäußerung, die die Abgefacktheit einer konkreten Situation auf die Welt überträgt, sondern eine, die sich die Beschissenheit der Welt durch die individuelleWahrmehmung derselben zu eigen macht. Welt heißt hier vor allem die wahr- genommene Gleichzeitigkeit von unerträglichen, banalen und schönen Ereignissen an verschiedenen Orten. Bomben auf Belgrad als All täglichkeit, »Star Wars« als Inszenierung von vorgeblich ungemeiner Wichtigkeit, Kriege in Afrika als nicht der Redewert, mit Freund oder Freundin durch die Straßen laufen und über Liebe reden. (»You and I walking through the suburbs/We're not exactly lovers/and then you wait/for the next Kuwait«, »Overcome« und SPEX 4/95). |
Nichts anderes
also als der alltägliche Wahnsinn. Wenn man aber ein Problem damit
hat, all das normal zu finden, ist die Frage natürlich: wie darauf
reagieren, ohne verrückt oder folgenlos moralisch zu werden? Wenn
Tricky leiert: »The world is shit, the world is shit« und resümiert:
»This is a shit world«, dann liegt darin weder Resignation,
noch ein zynischer Freibrief für beliebiges Handeln. Vielmehr die
fragile, empört- leidende Körperlichkeit einer hochsensibilisierten
Wahrnehmungsmaschine. Wenn Tricky spricht, wird der
Sprechakt zum ausgehauchten Lebensodem, sein Körper denkt mit, was die Stimme spricht und wird andererseits von der im Gesprochenen gegenwärtigen Selbstwahrnehmung strukturiert. (Bewußtseins- erweiternde Drogen, behaupte ich, sind dabei immer nur Medien, nie Ursachen.) Auf diese Weise kann eine pauschale Negation ziemlich komplex werden. Es ist ja nicht dieses zurückgelehnte, selbstgefällige, breitbeinige |
Motherfucker-Shit-Gerede,
eher eine sprunghafte, vielleicht auch paranoide Zappelligkeit.
»Ich gab Interviews, bei denen Leute meinten: Du hast aber eine ziemlich negative Einstellung, you are a negative person. Aber das ist Unfug, nicht ich bin negativ. Du kannst nicht behaupten, daß das eine gute Welt ist, sie ist abgefackt. Die letzten fünf Jahre habe ich mich mit diesem world-shit beschäftigt. In gewisser Weise hat das auch auf mich abgestrahlt, du gewöhnst dich an dieses Negative und richtest dich darin ein. Auf dem neuen Album habe ich begonnen, darüber zu schreiben, doch du wirst natürlich immer wieder enttäuscht. Du schreibst darüber, aber nichts verändert sich. Als ich anfing, Musik zu machen und Teil der Musik- industrie wurde, dachte ich, ich würde die Welt verändern. Ich dachte, meine lyrics würden die Welt verändern. Dann realisierst du, daß du das nicht kannst, aber du machst trotzdem weiter. Yeah, but the world is pretty shit.« Was hast du mit dieser Erkenntnis gemacht? »Nachdem ich realisiert habe, daß ich die Welt nicht ändern kann? Ich habe angefangen, mehr über Leute zu schreiben, als, sagen wir, gegen die Regierung und solche Dinge. Viele meinerTexte handelten von Menschenhaß, von Typen, die dir die Knochen brechen, es waren anti human-Iyrics. Ja, die Texte gingen eher über Leute als über die Welt Aber ich wurde auch immer persönlicher, habe mich selbst als Teil davon begriffen, und sagte mir, okay, ich bin ein Typ, bin auch irgendwie abgefackt. Ja, ich habe angefangen, mehr auf solche Dinge zu achten. Ich denke, dadurch kann man letztendlich einen größeren Effekt erzielen. Du kannst etwas bewirken durch die Art und Weise, wie du dich kleidest, ich meine, wenn |
ich ein Kleid
trage und Leute schauen mich an, denken über mich nach und hören
vielleicht meine Musik, davon könnten sie irgendwie berührt werden.
Ich denke, man kann Gesellschaft von so kleinen Dingen aus verändern.«
Die, denen die Welt nicht gefällt Apropos Welt,Veränderung
und Widerstand: Zwei Tage später, der Satz Ioopt in meinen Ohren,
gilt es, in Köln Neonazis am Demonstrieren gegen die
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all die anderen
Zeichen und »Äußerlichkeiten«, die Körpersprache,
die Musik.So stimmt deshalb nach wie vor: »Das schlimmste an den
Nazis ist immer noch ihre Musik.« In diesen Stunden standen alle
an ihrem Platz und traten auf der Stelle, angeordnet in konzentrischen
Kreisen: Nazis, Bullen, Linke. Die Nazis (es waren nur etwa 200)
sahen bald schon ziemlich armselig aus, betröppelt und gedemütigt,
der einzigeTriumph, der ihnen geschenkt wurde, war das durchdringende Geschepper
aus ihrem Lautsprecherwagen. An diesem Nachmittag war das der ganze Terror,
den sie verbreiten konnten. Von jauligem, lagerfeuerroman- tisiertem Gitarrengeschrammel
über Edward Grieg, Richard Strauß bis Wagner: die ganze Palette.
»Wenn sie wenigstens Nazirock gespielt hätten.« Aber wo
bitte war der Soundsystem- Wagen, der all dem wider- sprechen und all das
über tönen hätte können? Eine kleine Lektion in Sachen
symbolische Kämpfe am konkreten Beispiel: Einfach mit der besseren
Musik zu kontern, wäre schon cool
gewesen. Der Bezug zu Trickys Gemaule ist aber eher nicht so cool und ziemlich launisch, ja auf verwegene Art unzufrieden. Körperlich nicht einverstanden. Denn zwar gab es hinterher dieses befriedigende Triumph- Gefühl aber während der ersten Meter, in denen alles noch seine »Ordnung« hatte, spielten sich ganz andere Szenen ab. Zum Beispiel, daß man gar nicht anders konnte, als laut zu schreien. Als einzig befreiende körperliche Reaktion auf den Anblick dieser marschierenden Jungs. Das beliebte »Nazis raus« ist natürlich Unfug, »Maul halten« schon präziser, aber es geht ja hauptsächlich um den Akt des Schreiens, dieses sich Gegenüberstehen und laut Be schimpfen. Neben mir ein Typ, der so aussah, als wäre er nicht aus Deutschland, zwischen den |
Nazis ein Typ,
der ebenfalls nicht so arisch aussah, wie man es von einem guten Nazi erwarten
würde. Der eine macht den anderen an: »Warum
läufst Du bei diesen Arschlöchern mit?« Der antwortet irgendwas, was ich nicht verstehe. Der Typ neben mir ist kurz da, vor, auszurasten und über die trennende, niedrige Absperrung zu klettern. Wieder diese sprunghafte, aggressive, sich etwas zu eigen machende, hochsensibilisierte Körperlichkeit wider das sich unerschütterlich gebende, dummbatzig selbstgefällige sprücheklopfende Herumstehen. Darin liegt ein ähnlicher Tonfall: This is a shit world. Das Reale ist natürlich Böh! Sprechen wir von Realität.
Das erste Stück auf der neuen Platte heißt »For Real«.
Von welcher Realität sprichst du genau, wie würdest du deine
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was wirklich
zählt. Es geht nicht mehr um Musik, es geht nicht darum, Songs zu
schreiben, es geht darum, einen bekannten Namen zu haben. Ich hab nicht
viele Musiker als Freunde. Denn Musiker haben dieses bestimmte Verhältnis
zueinander, wie sie zusammen rumhängen und so. Wenn ich mit Musikern
rumhänge, endet das meistens im Streit oder ingendeiner Auseinander-
setzung. Ich halte mich da etwas raus. l really don't like artists.Wie
sie sich verhalten, was sie denken, wer sie sind, wie sie mit Leuten reden,
wie sie meinen, mit irgendwas zurecht zu kommen.«
Es hat sich ja bereits in deinem letzten Album angekündigt, aber mir scheint, du hast wirklich genug von der Musik- Industrie. »Nun, ich denke schon. Ich habe inzwischen ein eigenes Label. Ich will immer weniger mit der Industrie zu tun haben. Alles, was ich rausbringe, kann man nicht im Radio spielen, man kann nichts damit anfangen. Ich baue etwas auf, was nicht massentauglich ist, und versuche gleichzeitig, es populär zu machen. Das ist auch mit dem neuen Album so. Ich versuche, die Dinge von innen heraus zu verändern, du kannst die Dinge immer nur von innen verändern. Manchmal ist es schon verrückt. Ich sehe jemanden, der Millionen von Platten verkauft, der zwei- dreimal täglich seine Videos im Fernsehen laufen hat, der so viel Macht, so viel zu sagen hat, und nur über Müll singt. Es ist so eine Zeitverschwendung, die Leute sitzen rurn,schauen sich die Videos und all das an. Ich meine, versuch doch irgendwas, change your mind or something.« |
Kognitive
Dissonanz zweiter Teil: Missmut und Gelassenheit
»Als ich berühmt
wurde, hatte ich noch viele Freunde und Familie, die immer noch mit einer
Menge Dinge zu kämpfen hatten, die im Gefängnis waren oder einfach
versuchten, über die Runden zu kommen. Ich hab' jeden Tag mit Ihnen
telefoniert, ich war in New York und hörte jeden Tag von ihren Problemen
und all den
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lamentierend
oder romantisie- rend. Das ist das Sympathische an Tricky, wenn er schimpft.
Seine ästhetische Strategie, im Unrat wühlend mit all dem
Unschönen dieser Welt umzugehen, ist nach all den Variationen klanglicher Düsternis heute wesentlich entspannter, vielleicht aber auch schlampiger, gleichgültiger, seltsam auch. »Es ist ein völlig relaxtes Album, denke ich. Viele Songs haben einen Sinn für Humor. Das Album nimmt sich selbst nicht so ernst und die Leute haben dabei vielleicht Spaß. Ich hab' natürlich auch andere Seiten. Spaß haben, machen was ich will, nochmal experimentieren. Ich habe immer versucht, zu experimentieren, mit unterschiedlichen Dingen. Es kann nicht nur Dunkelheit geben, da muß irgendwo auch Licht sein.« Wenn du mit den unterschied- lichen Stilen experimentierst, worin liegt dafür dich das produktivste Moment? Oder: Würdest du das als Arbeit bezeichnen? »Sowas wie Genius gibt es nicht, du kannst Musik nicht kontrollieren, die Musik kontrolliert dich. Du schreibst etwas und versuchst, in etwas hineinzukommen. Ich spiele mit dem Keyboard, und die Dinge passieren einfach, und es ist, als hätte es nichts mit mir zu tun.« Wer ist der Typ, der auf einigen der Stücke rappt? »Der Typ heißt Maddog. Es ist das erste Mal, däß ein, richtiger vocalist auf meinem Album auftaucht. Er ist völlig unbekannt und hat ziemlich viel Talent. Die Leute sollen ihm gefälligst zuhören, denn es ist hart, in England so isoliert zu arbeiten. Ich bin nun in einer Position, die ihm das ermöglichen kann. In Amerika denken die Leute, wir hätten in England keine guten Rapper, doch er kann durchaus neben Maxwell und all den anderen bestehen. Davon handelt letztlich auch das Album. Es geht nicht nur um mich, es geht ebenso um englischen Hip Hop, denn so was gibt es und einiges davon ist wirklich gut.« Im falschen Film Das einzige, was Tricky liest, sind Gangster-Romane. »I never read anything. I can't stay focused long enough, I get |
bored.«
Auch ins Kino geht er nicht. »Ich hab' nie Zeit. Naja, ich hab schon
Zeit, aber keine Energie dafür. Es ist so anstrengend. Ins Auto steigen,
dann zum Kino fahren, aus
dem Auto aussteigen, ins Kino gehen. Ich meine, das dauert alles so lange.« Ist natürlich ein Argument. Tricky würde wohl eh nicht in europäisches Autorenkino gehen - derzeit gäbe es da aber zwei Filme zu sehen, die sich aus einem der Tricky-Mentalität möglicherweise verwandten Bewußtsein heraus auf ästhetische Gratwanderungen begeben haben zwischen der Weltscheiße und der Gelassenheit und Schönheit, mit denen man sie abbilden könnte: die Kunst des Trostes, der kein billiger ist. Zum einen »Megacities« von Michael Glawogger (damit sei Tobias NagI widersprochen, siehe SPEX 06/99), und »Os Mutantes« der portugiesischen Regisseurin Teresa Villa verde. In »Megacities« sind es Überlebenskämpfe und Arbeits- situationen in Bombay, New York, Moskau und Mexiko D.F. Zwei Bilder: Das Zusammen- treffen von lange-die-Kamera- draufhalten, zeigen, wie kopflose Hühner in einer Tonne zucken, immer wieder ein neues draufgeschmis sen wird, während sich dahinter das Rot (Blut) auf der weißen Kachelwand immer neuen Muster bildet. Ein Freund sagte, das mit dem Rot sei wie ein Gemälde von Jackson PoIlock gewesen, ich hätte vor lauter Ekel so etwas gar nicht sehen können. Das, worüber sich viele Leute gestritten haben, war, ob Elend auf diese Weise ästhetisiert wird. Es ist vielleicht eher so, daß ein »schönes« Bild, das etwas »Unschönes« zeigt, dem Betrachter eine Absurdität vorführt, die wesentlich schwieriger auszuhalten ist, als die ostentative Verdoppelung von »Elend«. »Os Mutantes« schildert die Überlebens kämpfe Jugend- licher in Lissabon. Der enge Raum von Freiheit zwischen den Koordinaten zu Hause, auf der Straße, im Heim, im Jugend-gefängnis. Der Film hat etwas konsequent Gnadenloses. Eine junge Frau, die auf derTollette einer Tankstelle ein Baby gebiert. Man sieht dabei vor allem ihr schmerzverzerrtes Gesicht, den Ausdruck von Einsamkeit; es hört einfach nicht auf. Die |
Ausdehnung dieser
Szene will etwas zumuten, nicht zeigen, und mit einem Gefühl von Betroffenheit
kommt man auch hier nicht weit. Das ist das Großartige dabei. Warum
ich all das erwähne? Weil es zusammengehört. Weil mir Trickys
anfangs beschriebener Tonfall und Tricky als Person mehr erzählt haben
als
Trickys neue Platte. Debattendelirium Der Weltscheiße letzter
Teil: Man kann es natürlich auch übertreiben. Eine Zeit lang
ist so ein Satz bequem auf alles anwendbar. Das ist ja das Schöne,
ein Satz, auf den man sich so problemlos einigen kann. Wie auf ein paar
jämmerliche Nazis, bei denen die Bedrohung das, was sie wollen, auf
jeden Fall größer ist als die durch das, was sie (im Moment)
können. Gegen miese Witzfiguren sein, das entspannt.
»Juxtapose«
von Tricky
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