Tricky(Trigger) Happy
Irgendwann musste der Satz ja fallen. Diesmal, so spricht die zerklüfftetste Stimme des Universums, geht es aber nicht um die üblichen Worte in einer biografischen Inszenierung, die unausweichlich irgendwann kommen muss, wenn die universelle Marketingabteilung des Lebens (oder bloß die der Plattenindustrie) unaufhaltsam auf ein zwischenzeitliches, unerwartet erwartetes Denouement zutreibt. Es ist ernst, todernst. »Ich bin glücklich.« Tricky lehnt sich zurück. Es ist der erste Sommertag des Jahres, der Himmel stammt von David Hockney, und Tricky sitzt auf einer menschenleeren Hotelterrasse, in der linken Hand den obligatorischen Spliff, in der rechten das Asthmaspray. Er gießt sich noch etwas turbogefiltertes Wasser aus einem Plastikkanister in sein Glas, dann zieht er sein Tanktop aus, ganz beiläufig, öffnet den Gürtel, die obersten Knöpfe seiner Jeans. Nichts passt hier zusammen, kein einziges Element dieses Bildes hat mit einem anderen Element etwas zu tun: die basssprotzende Zerkratztheit der Stimme nichts mit der agilen Motorik des sehnigen Körpers, der Inhalt nichts mit der Form. Tricky ist der Widerspruch. Der sich selbst im Minutentakt reproduziert. Der nun also glücklich ist, nicht nur im Sinne von: in dem Maße, in dem jemand, der durch die Hölle des eigenen Ichs gegangen ist, Jahr um Jahr, Album um Album, nunmal glücklich sein kann. Richtig glücklich.
   »Ich habe draußen in Jersey ein paar Hektar Land gekauft. Dort steht ein schöner Wald, da gehe ich oft spazieren. Mein Leben ist bunter geworden. Ich genieße es, nicht mehr zu trinken. Ich genieße es, mich jeden Tag gesund zu fühlen, jeden Tag Tai-Chi zu machen, keinen Zucker mehr zu essen. Früher stand ich auf Ausgehen. Ich kann es mittlerweile nicht mehr ertragen, erst bei Tageslicht ins Bett zu gehen. Ich ertrage es nicht, ich hasse es. Jetzt mag ich es, mich an der Schönheit einfacher Dinge zu erfreuen, an so etwas wie dem Wetter.» Sagt die kaputte Stimme hinein in den Hockney-Himmel. Klingt wie ausgedacht von einem neo-hippiesken Reformhaushirn, für einen Ayurveda-Werbespot. Aber es ist die Wahrheit. Vor nicht allzu langer Zeit wurde festgestellt, dass Tricky seit Jahren unter einer Lebensmittelallergie leidet, die offenbar zumindest mitverantwortlich für extreme Stimmungsschwankungen bishin zu depressiven Schüben war. Welch abstruser Gedanke: das Spezifische eines künstlerischen Korpus, dessen Unberechenbarkeit, Düsternis, latente (Auto-) Aggression, dessen verzweifelte introspektive Unausweichlichkeit rückwirkend unter dem medizinischen Vorbehalt zu betrachten, da habe jemand bloß das Falsche gegessen und getrunken.
   Trotzdem wehrt sich Tricky dagegen, »Blowback», sein neues, helles, unverstellt direkt formulierendes Album, als Ausdruck einer Katharsis zu verstehen. Es ist ein Album wie jedes andere, sagt er, denn es steht wie jedes andere vorher für ein Jahr Tricky, als Dokument dieser unteilbaren, verschlungenen Biografie. Oder wie Tricky später in einer Metapher sagen wird, die er schon häufiger in Interviews benutzt hat: »Blowback» zeigt die Wahrheit des Dokumentaristen, der in seiner Kunst immerfort nur das eigene Künstler-Dasein und dessen Befindlichkeit festhält. Die Wahrheit des Dokumentaristen also, die das Fiktionale dieser künstlerisch entäußerten \/\/ahrheit immer schon mitdenkt. Es wurde bloß Licht, und die Vergangenheit, die langweilt nur, und doch existiert sie. Als taube Erinnerung, ohne Gefühl. Keine Dialektik nirgendwo. Es ist immer noch dieselbe Person, die Hölle ist immer noch um die Ecke, und Paranoia ist immer noch lieferbar. Als Care-Paket. »Diesmal wollte ich etwas Universelles schaffen, etwas, das die Menschen sofort packt, in dem Moment, wo sie die Musik zum ersten Mal hören. Ich wollte Musik machen, über die die Menschen nicht erst nachdenken müssen.» Natürlich, diese Pose muss Tricky gar nicht erst betonen, macht jemand wie er kein Album für das Radio, keines für seine neue Plattenfirma, schon gar keines für sein Publikum, das ihm als ständig vexierte Masse erscheint. Er macht ein Album nur für sich allein, und doch fixiert er dabei stets den Rest der Welt. Dagegen arbeiten, der Luxus seines Daseins, sein Künstlerbegriff: die freie Entscheidung zu haben. Radiofutter aufzunehmen, richtiges Tricky- Radiofutter, mit Leuten wie Alanis Morissette und Cindy Lauper und den Red Hot Chili Reppers. Eingängig, zeitgenössisch, gegenwärtig, populär, modern. »Universeller Rock'n'Roll» (Tricky). Er beugt sich nach vorne. »Jetzt sagen die Leute: Er ist zurück, das wird sein größtes Album sein. Und ja: Ich will Airplay. Meine Aufgabe wird beim nächsten Album sein, diese neue, andere Erwartungshaltung zu enttäuschen. Wenn dieses Album erfolgreich werden sollte, wenn ich überall wieder im Fernsehen auftauche, dann werde ich zusehen, wie ich im nächsten Jahr wieder aus dem Fernsehen rauskomme. Wenn es floppt, dann bin ich in derselben Position wie vorher. Es interessiert mich einfach nicht, ob es floppt oder nicht. Ich bin niemandes Sklave.» Da lehnt sich die zerklüfftetste Stimme des Universums zurück. Und blinzelt in die Sonne.

Text: Dirk Peitz. Foto: Hans Peter Knes

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  photo: Hans Peter Knes
 
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