BATTLE
OF THE POPSTARS
Es war nicht unbedingt die
smarteste Idee, den Interviewtag
auf der Terrasse eines großen
Kölner Hotels am Rheinufer
stattfinden zu lassen. Gut,
es ist wirklich schön heute. Aber
erstens ist der ohnehin
meistens nicht gerade
hochkonzentrierte Künstler
hier draußen ständig abgelenkt von schönen Beinen und laut
palavernden Touristen, die im
Sekundentakt vorbeiflanieren.
Und zweitens raucht er nicht
gerade die gleichen Zigaretten
wie die anderen auf der
Hotelterrasse Anwesenden
- was ihm entsprechende
Popularität zuteil
werden lässt. Alle beobachten den von
Tattoos übersäten,
schlaksigen, ketterauchenden Mann in
weißem Unterhemd und
Sommerkäppi, der ungewohnt gut
gelaunt und mit seiner unverkennbaren
rostigen Stimme über
sein neues Album Auskunft
gibt. Aber es gibt da noch etwas,
dass wahrscheinlich nur
den geübten Medienpartner-Augen
von Kollege Venker und mir
nicht entgeht: am Nebentisch sitzt ein gockelnder, hochgestylter Mensch
namens Perry Farrell
(ja, genau der Typ von Jane's
Addiction ...), ebenfalls auf
Promo-Reise, und seinem
Plattenfirmen-Betreuer anscheinend wieder mal entwischt. Jetzt, im Schatten
incognito eine
Schorle schlürfend,
liefert er sich mit Tricky, unerkannt von
den Hotelgästen und
ohne dass die beiden sich auch nur
eines Blickes würdigen,
einen kleinen telepathischen
Showkampf zum Thema "diese
Terrasse ist zu klein für uns
beide". Psycho-Posing ohne
Worte für Fortgeschrittene.
Almodovar hätte seine
helle Freude gehabt. Da aber die
Mikrofone und Augen auf
Tricky gerichtet sind und der die
Aufmerksamkeit bewusst provozierend
genießt, verdrückt sich Farrell nach einiger Zeit so verhuscht,
wie er zuvor erschienen
war. Also können wir
irgendwann, nachdem noch schnell eine
Foto-Session sowie ein Telefon-Interview
dazwischen
geschoben werden, mit dem
Gespräch anlässlich des neuen
Werkes "Blowback" anfangen.
We came a long way, baby ..., das heutige Interview ist immerhin unser
zehntes
Zusammentreffen seit 1994.
Und jedes war voller
Überraschungen. Denn
was auch immer über Tricky gesagt
wird: ein Individualist
ist er in jedem Fall. Und nicht gerade
bescheiden.
"Ich messe Erfolg nicht in
verkauften Einheiten. Ich kann
machen, was ich will, zu
meinen Bedingungen, jederzeit.
Massive Attack verkaufen
mehr Platten als ich, aber ich bin
glücklicher." (Tricky
1998)
"Ich will der größte
lebende Musiker auf der Welt sein. Ich bin
noch nicht an dem Punkt,
aber ich weiß, dass ich
dahinkommen kann." (Tricky
2001)
VERSIONEN
IN UNMUT
Adrian Thaws alias Tricky
Kid alias Nearly God alias Tricky
hat allen Grund, vor neuem
Selbstbewusstsein zu strotzen.
Das neue Album ist da, diverse
Promis wie etwa Alanis
Morissette, Ed Kowalczyk
(Live), Ambersunshower und die
Chili Peppers drängeln
sich auf der Gästeliste. Eine ngagierte
Indie-Firma mit Händchen
für schwere Jungs steuert die
Geschicke, der erste veritable
Radio-Hit in den Staaten
zeichnet sich mit der ersten
Single ab, und sein neuer Berater
ist niemand Geringeres als
Ex-Island-Boss Chris Blackwell
persönlich. Der Kleinkrieg
mit dem vormaligen
Majorlabel-Partner sowie
der millionenschwere,
undurchsichtige Crash mit
dem eigenen Label Durban Poison
sind Vergangenheit. Das
seit zwei Jahren intensiv betriebene
Tai Chi- und Meditationstraining
(kein Scherz) mit einem in
New York lebenden chinesischen
Lehrmeister ("Er ist so
etwas wie mein Buddha")
hat den vormals hyperaktiven,
ungesunden und chronisch
schlecht gelaunten Vampir in einen drahtigen, wachen und gelassen agierenden
Thirtysomething
transformiert, der momentan
eigentlich die ganze Welt
umarmen möchte und
gerne viel lacht, so unglaublich das
klingen mag. Er sieht immer
noch so aus wie der Tricky, den
wir kennen. Etwas drahtiger
vielleicht, denn auch das
gleichzeitig ebenfalls intensive
Boxtraining scheint
anzuschlagen. Fit ist er,
und in seinem Inneren hat sich so gut wie alles geändert. Das hört
man natürlich auch in der Musik.
"Blowback" ist nicht "Maxinquaye"
im 2001er-Gewand,
sondern nicht mehr und nicht
weniger als ein Neuanfang unter
Rückbesinnung auf alte
Tugenden. Angedeutet hatte sich
dieser Weg bereits kurz
nach dem letzten Album "Angels
With Dirty Faces". Als wir
uns damals in Hamburg trafen,
gestand Tricky mir abends
auf dem Weg zum Konzert in der
Hamburger Markthalle ein,
dass er sein Achterbahnleben
gründlich leid sei.
Sein permanenter Unmut, seine
unkontrollierbare Wut, die
konstante Schlappheit und der Hang zur Selbstzerstörung in Kombination
mit dem hektischen
Leben eines "TripHop-Gotts"
und "Über-Producers" hatten sein Familienleben und sämtliche
persönliche Weiterentwicklung
im Keim erstickt. Die vermeintliche
Charakterschwäche, die
kurz davor war, Trickys
Leben zu zerstören, wurde, nach
geschlagenen 15 Jahren,
glücklicherweise von Ärzten als
äußerst ernstzunehmende,
allergische Nervenerkrankung mit
diversen chronischen Nebenwirkungen
diagnostiziert, die u. a.
auch das Hirn anzugreifen
drohte.
"Da war ich nun. 29 Jahre
alt und schwach wie ein Lamm.
Wusste selten, wo ich war,
und wenn, dann war es mir egal.
Wollte immer nur schlafen
und kein Tageslicht sehen. Habe Telefone an Wände geschmissen, einfach
so, bin total
ausgeflippt. Gemütsschwankungen,
bis ich mich selber nicht |
mehr erkannt
habe. Das hat natürlich alle total fertig gemacht, und mich am allermeisten.
Weil keiner wusste, wieso. Ich am
allerwenigsten." (Tricky,
1998)
Tricky unterzog sich sofort
den dringend notwendigen Behandlungen. Nahm "Nearly God" und "Pre-Millenium
Tension" auf, als Therapie
und Momentaufnahme. Und zog
weg aus dem Dunstkreis Bristol,
hinein in den Moloch New
York.
DIKTIONEN
IN SCHWERMUT
"Ob du es glaubst oder nicht:
ich habe kürzlich zum ersten Mal seit meiner Kindheit bewusst die
Sonne gesehen, den
Tagesanbruch. Und zwar nicht,
weil ich so spät ins Bett
gegangen bin, sondern weil
ich so früh aufstehen wollte. Weil
ich mich auf den Tag gefreut
habe wie früher als kleiner
Junge. Seit meiner Schulzeit
haben sie mich immer "Tricky
Kid" genannt, weil ich ein
Duckmäuser war, immer auf
Tauchstation, völlig
unzuverlässig. Wenn ich aufstehen sollte,
blieb ich liegen, und wenn
ich schlafen sollte, hielt ich mich
wach. Ich habe mich permanent
verweigert. Und das setzte
sich so fort, selbst bei
Massive Attack sind mir andauernd so
Sachen passiert, als wir
richtig abgingen. Die Jungs fuhren mit dem Management zu irgendwelchen
Award-Verleihungen, und
ich war wieder nicht dabei.
Weil ich mit Kumpels in irgendeiner Kneipe gesoffen habe und es mir völlig
egal war, wie spät es
war. Daddy G und die anderen
waren natürlich zu Recht sauer, aber ich konnte einfach nicht anders.
Und als dann Nellee
Hooper (Bristoler Producer,
u. a. Neneh Cherry und eben
Massive Attack) in seinem
Studio einen Zeitplan aufstellte, wir
morgens um neun zum Auf-Kommando-Produzieren
erscheinen mussten, und
zwar jeden Tag, da kam ich dann
auf die Idee, ab sofort
nie wieder irgendwelche Songs zu
machen, die radiofreundlich
sind und schön anzuhören. Und
das habe ich bis heute durchgezogen.
Es gelten meine
Konditionen." (Tricky 1999)
"Ich will die größten
Songs schreiben, Mann. Ich will die
Radiolandschaft verändern
mit meinen Liedern. Dagegen habe
ich mich lange gesträubt,
weil ich nicht Teil von all dem
Bullshit da draußen
sein wollte. Das war damals meine
Einstellung. Aber jetzt
bin ich an einem anderen Punkt. Es
muss endlich was passieren.
MTV, BET, Radio - all das Zeug,
da läuft doch echt
nur Müll. Das muss geändert werden. Die
tun immer so, als ob sie
Musikfernsehen oder Musikradio
wären. Aber das sind
sie gar nicht, weil da fast nur der
Musikmüll läuft.
Das muss aufhören, das ist Quatsch. Es wird
Zeit, dass sie da neue Musik
spielen. Wenn du weißt, was ich meine ..." (Tricky 2001)
Und für diese neue Mission
fusioniert der Mann auf "Blowback" wieder mal scheinbar Unfusionierbares.
Wie etwa, wenn er den Reggae-MC Hawkman auf Ed Kowalczyk treffen lässt
und
dazu seine monoton-deepen
Lyrics murmelt. In einem
feierlichen Popsong mit
Streichern. Und danach Alanis offroad
mit den Peppers und Ambersunshower.
Und dann ein
Kinderlied. Alles geht.
Für Tricky völlig normal. Einfach genial
oder genial einfach? "Die
Leute analysieren immer zuviel. Sie
interpretieren. Ich halte
mich nicht damit auf, in Kategorien zu denken. Ich tue Dinge einfach."
(Tricky 2001)
"Martina saß auf einer
Mauer in Bristol in der Stadt, und ich
ging vorbei. Sie gefiel
mir, und ich hab' sie gefragt, ob sie was
für mich singt. So
einfach war das." (Tricky 1994)
DAS
ENDE ALS ANFANG
Trickys Zweitkarriere als
Schauspieler wird unterdessen kaum
weitere Früchte tragen.
Den bisher einzigen Film, in dem er
mitgewirkt hat, Luc Bessons
"Das Fünfte Element", hat er nie
ganz gesehen, nur bis zu
der Stelle, in der er das erste Mal
vorkommt. "Wenn ich nicht
Musiker wäre, dann wäre ich gerne Gangster geworden. Alles, was
damit zu tun hat, fasziniert
mich total. Und wenn ich
überhaupt noch mal schauspielern
sollte, dann in einem vernünftigen
Gangsterfilm, als echter
Schurke. Ich wäre ein
richtig guter Gangster geworden, echt."
(Tricky 2001)
Stattdessen beobachtet er
jetzt nicht mal mehr Gangster in
Midtown Manhattan, bei unserem
letzten Treffen noch seine eigentliche Lieblingsbeschäftigung, sondern
chillt lieber im
Wald, Upstate New Jersey
- was einhergeht mit einem
Standortwechsel. "Ich habe
mir zwei Morgen Land gekauft. Da
steht mein erstes eigenes
Haus, alle meine persönlichen
Sachen sind da. Noch nie
vorher hatte ich alle meine
persönlichen Dinge
an einem Platz. Das ist ein gutes Gefühl."
(Tricky 2001)
Das klingt weder nach Midlife-Crisis
noch nach Aufgabe.
Einfach mal Wurzeln schlagen,
nachdenken können, Seele
baumeln lasen. Nach all
dem Irrsinn. Auch hier wieder: alles
viel einfacher, als es scheint
...
"I need a headrest and feed
from a warm breast ..."
(Tricky, "Excess", vom neuen
Album)
In diesem Sinne: Evolution,
Revolution, Love. Dem Mann sei's von Herzen gegönnt...
TEXT: GEORG BOSKAMP
FOTO: RAINER HOLZ |