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DANN HÄTTE ICH IHM MEIN BLUT INS GESICHT GESPUCKT.<< * Interview Max Dax * Fotos Oliver Schultz-Berndt |
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Die Suite des Berliner Hyatt-Hotels ist groß. Im
Fernseher läuft eine Kochsendung. Tricky, mittlerweile 34jährig,
sitzt eingezwängt auf einem Stuhl hinter einem Schreibtisch in der
dunkelsten Ecke des Raums. Auf der Arbeitsfläche vor ihm:Tabakkrümel,
zerknüddelte OCB-Blättchen, abgerissene Zigarettenfilter, Alufohe
und leerge-trunkene Miniatur-Honiggläser. Ein Deckel dient als längst
überquellender Aschenbe-cher. In der ganzen Suite riecht es nach Gras.
Tricky redet wie ein Wasserfall. Zwar hat der Päte des TripHop gerade wieder ein neues und überraschend gutes Album mit dem Titel »Vulnerable« veröffentlicht, doch ganz offensichtlich bereitet es Tricky mehr Spaß, über seine semikriminelle Vergangenheit und Verwandtschaft zu reden. Irgendwann unterbrechen wir das Gespräch, um Fotos zu machen. Nach einer Filmrolle fällt dem Fotografen, Oliver Schultz-Berndt, auf, dass er Tricky diverse Male mit einem Jomt in der Hand fotografiert hatte und fragt, ob er aus Rücksichtnahme die Bilder unter Verschluss halten sollte. Tricky reagiert verwundert: ,,Fucking no! I don't care. Revolution!" Der Rest des Interviews findet im Taxi zum Flughafen statt, da der Musiker noch einen Flug nach Amsterdam erreichen muss. Ihre Karriere begann mit einem Paukenschlag. Gleich Ihr erstes Album
machte Sie zum Star. Können Sie sich das rückblickend erklären?
Das war ein Interesse aus Übersee, die Leute, die sich für
Sie interessierten, lebten in Amerika... Sie sind dann ja selbst nach New
York gezogen...
Los Angeles ist eine Stadt, in die man zieht, und dann erfindet man
sich neu, lässt seine Geschichte hinter sich, gibt sich als das, was
man schon immer sein wollte?
Die perfekte Stadt für Sie?
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Sie wohnen in Santa Monica?
Venice. Ich lebe in Venice. Zwei Blocks vom Strand. Wie lange dauert es, bis eine Stadt Ihnen keinen Kick mehr gibt?
Ist es nur eine Frage des Krams, den man mit sich herumschleppt?
Wie kommen Sie auf Berlin?
In Berlin kann es passieren, dass die Leute einfach aus Spaß
ihre eigene Fahne verbrennen.
Manchmal muss man ins Ausland gehen, um die eigene Heimat schätzen
zu lernen.
Ein gutes Beispiel für das, was Sie Unabhängigkeit nennen,
ist Ihre Platte »Product Of The Environment«, die Sie 1999
veröffentlicht haben. Auf der haben Sie englische Gangsterbosse interviewt
und die Geschichten, die diese erzählen, mit Beats unterlegt. Was
genau war Ihre Rolle bei dem Projekt?
Kannten Sie die Gangster?
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unterstrichen die Autorität seiner Stimme. Ich dachte
sofort: Dazu muss ich Musik einspielen und das ganze veröffentlichen.
Und mein Kum-pel meinte zu min ,,Das kannst du aber nicht nur mit einem
Gangster machen. Du musst alle berüchtigten Gangster Englands zusammentrommeln
und mit jedem einzelnen von denen so einen Song aufnehmen." Kurz: Ein Konzeptalbum
müsste es werden. Derart motiviert habe ich begonnen, mit ein paar
Leuten aus dem Millieu in Kontakt zu treten. Ich übergab das Projekt
daraufhin Gareth Bowen, meinem Keyboard-Spieler, und meine Rolle war fortan
nurmehr die des A&Rs.
Hatten Sie keine Lust die Gangster selbst aufzusuchen?
Hat sich diese argwöhnische Situation verbessert, nachdem die
begriffen hatten, worum es Ihnen ging?
Aber obwohl das Album konzeptionell wie musikalisch etwas Außergewöhnliches
war, hat es sich kaum verkauft. Es war, gelinde gesagt, ein Flop.
Die waren wahrscheinlich froh darüber, diese Leute bereits vergessen
zu haben, und dann kamen Sie und haben den Staub wieder aufgewirbelt.
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Es heißt ja, dass Menschen, die als organisierte
Kriminelle andere Menschen umgebracht haben, oft ganz normal erscheinen,
wenn man ihnen im täglichen Leben begegnet.
Ich kenne das auch. Diese Leute werden erst gefährlich, wenn man ihre Interessen durchkreuzt. Ansonsten sind die meistens immer sehr nett. Woher kommt Ihre Faszination für die Kriminalität?
Weil man Angst auf der Straße mit Respekt gleichsetzt?
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Weil
sie ungebunden sind? Wir reden immerhin über Kriminelle.
Ich rede von großen Männern und davon, zu wem man als Jugendlicher aufschaut. Schaut man zu John F. Kennedy aufl wenn man im jamaikanischen Ghetto aufwächst? Zu Malcolm X? Wir haben aufgeschaut zu denen, die sich Respekt verschafft haben in unserem Viertel. Den großen Männern vor unserer Haustün Die Leute, die ich auf mei-nem Album versammelt habe, das sind Leute, die in ihren jeweiligen Straßen Res-pekt genießen. Das sind die Leute, die die dicken Autos gefahren haben. Sie sind die Superstars. In meinem Viertel, als ich jung war, da haben wir nicht Shakespeare gelesen. Spielte es eine Rolle, dass diese Leute, von denen Sie reden, letztlich
im Viertel geblieben sind? Anders als Sie, der Sie weggezogen sind?
Über New York haben Sie ja auch mehrfach gesagt, dass es Sie
aus Manhattan in die Bronx gezogen hätte.
Und in Los Angeles?
Wo, in dem Fischladen?
Wieso gehen die Gangs nicht einfach über die Straße und
rauben reiche Leute wie Sie aus?
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Und wenn Sie diese ganzen Gangster und Kleingangster
so toll finden, warum sind Sie dann nicht selbst Gangster geworden?
Um ehrlich zu sein, ganz ehrlich: Ich bin nicht hart genug. Ich bin nicht annähernd so hart wie meine Onkel. Ich hätte nicht die Kraft, fünfzehn Jahre Gefängnis unbeschadet zu überleben - auch wenn man sicherlich gerade auch im Gefängnis viel lernen kann. Hör mal: Von meinem achten Lebensjahr an habe ich Gewalt gesehen in meinem Viertel. Richtig ernste Gewalt. Das ist für mich kein Spiel. Ich habe dann später Gras verkauft. Ich habe Leute ausgeraubt und Autos geklaut. Ich bin im Gefängnis gewesen. Alles hat damals danach ausgesehen, als ob auch ich so eine Art Kriminellenkarriere einschlagen würde. Aber die Musik war schneller. Sie meinen: Der Erfolg mit der Musik war schneller.
Wie sind Sie sich dann überhaupt begegnet?
Was war passiert?
Was ist so spezifisch neu an dieser Erkenntnis?
,,They used to call me Tricky Kid 1 Now they call me superstar" -
das ist eine Zeile aus Ihrem Track »Tricky Kid« von dem Album
»Pre-Millenium Tension«.
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Leute wie Eminem drehen über weitaus entspanntere
Lebensgeschichten einen Film.
Sie lassen einen Film drehen. Wenn ich über meine Geschichte einen Film drehen wollte, dann... - man hat mir ja Geld geboten. Aber es waren nicht die richtigen Leute. Ich meine, das sind astronomische Summen, die in solche Projekte gesteckt werden. Da schlackern einem die Ohren. Aber dann wird so etwas zwei Jahre verhandelt, und es dauert weitere zwei Jahre, bis so ein Film in die Kinos kommt... - und dann ist es nur noch ein Scheißfilm, für den man sich bis an sein Lebensende schämen muss. Ich mag schnelles Arbeiten. Ich könnte mir das sogar vorstellen, so einen Film zu machen, dann aber mit irgendwelchen richtig guten Independent-Filmern. Denn in meiner Familie gibt es interessante Herkünfte: Weiße, Jamaikaner, Spanier, Halbafrikanen Die haben auf alle Fälle keine Vorurteile gehabt in meiner Familie. Und hinter jeder Herkunft steckt eine Geschichte. Ihre eigene Familiengeschichte ist tragisch. Sie haben seinerzeit
Ihr erstes Album Ihrer Mutter Maxine Quaye gewidmet, die gestorben ist,
als Sie noch ein Kind waren.
Warum haben die Jungs von Massive Attack heute etwas gegen Sie?
Warum hat 3D - alias Robert Del Naja - etwas gegen Sie?
Fällt Ihnen ein Beispiel ein, das 3Ds Neid illustrieren würde?
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...Jack?!
Wir nannten uns gegenseitig immer Jack. Er sagte also: ,, Jack, ich verstehe das nicht: Du kommst aus dem Dunkel der Nacht, betrittst diese Bar, und binnen zehn Minuten hat es sich in der Stadt rumgesprochen, dass du da bist. Was hast du für eine Aura?" Ich kannte damals keine Fremdwörter wie ,,Aura". Ich wusste gar nicht, wovon der redete. In London lebte ich in einem besetzten Haus, und dieser Typ faselte was von ,,Aura". Aber heute ist mir klar, was er meinte: Er wäre auch gerne sechs Monate lang weggewesen - und bei seiner unerwarteten Rückkehr klingelt nach zehn Minuten das Telefon. Wer war am Telefon?
Ist Bristol nicht in Wirklichkeit eine hübsche und friedliche
Stadt? So, wie Sie es erzählen, klingt es, als ob man in Bristol tatsächlich
einen Bodyguard benötigen würde?
Sie lassen solche Situationen gerne eskalieren?
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Kerl. Ein bisschen naiv, wie ein Kleinkind. Aber das haben
die Leute nicht in ihm gesehen: Die haben in ihm nur den schwarzen Zwei-Meter-Riesen
gesehen. Leider musste Derek dann irgendwann in eine psychiatrische Anstalt.
Seine Familie und ich waren die einzigen, die ihn dort noch besuchten.
Was haben Sie von Derek gelernt?
Sie sind bekannt dafür, auf fast komplett abgedunkelten Bühnen
Konzerte zu geben. Es gibt Fans, die das irritiert.
Was kaufen Sie sich eigentlich für Musik?
Und was ist mit den Schallplattenfirmen? Sie haben auf Ihrer Platte
»Angels With Dirty Faces« - benannt nach dem Noir-Gangsterfilm
mit James Cagney - ein Stück, das heißt »Record Companies«,
eine wüten-de Beschimpfung der Musikindustrie...
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Gegenzug von allem Ärger fernhalten. Bevor ich nach
Europa geflogen bin, habe ich denen gesagt, dass sie auf gar keinen Fall
ihre Gang-Scheiße wieder anfangen sollen, wenn ich weg bin. Ich will
nicht zurückkommen und sie im Gefängnis besuchen müssen.
Ich sage denen: Dein Leben hat jetzt nichts mehr mit deinem Ghetto zu tun,
wo du herkommst. Du wirst zwar immer ein Straßenjunge bleiben, aber
du musst jetzt lernen, wie ein Musiker zu denken. Schaliplattenfirmen vergessen
immer, dass sie sich auch um ihre Künstler kümmern müssen.
Ich sage meinen Künstlern: Wenn du meine Bedingungen nicht annimmst,
wenn du jemanden urubringst oder bei irgendwas geschnappt wirst, dann bedeutet
das das Ende unseres Deals. Man muss es denen einfach klar machen, dass
sie das sein lassen müssen mit dem Straßenkrieg.
Warum haben Sie Ihr neues Album eigentlich »Vulnerable«,
also ,,verwundbar" genannt? Weil Sie eigentlich ganz sensibel sind?
Sie würden also sagen, dass Aura eben doch wichtig ist?
Vermutlich wäre man in einem solchen Moment alleine deswegen
schon eingeschüchtert, weil einem jemand so etwas ungeheuerliches
ins Gesicht sagt.
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© Alert Interviews (http://www.alertmagazin.de)
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