Vom Bristol Beat zum Zeitlupen Sound
Die Rückkehr des Hexers
Als "Nearly God" hat Sample-Guru Tricky ein sensationell sinistres Album eingespielt
Schweigt still! Denn Minimalismus wäre noch ein viel zu großes Wort für die hypermoderne Club- und/oder Kammerrnusik des Ex-Massive Attack Mannes, der 1995 mit dem Solo Gcniestreich "Maxinquaye" alle Dance-Trends zur Hölle schickte, Regelbrüche zum Stilprinzip erhob und sich für gut getroffen hält, wenn man ihn als "Hellraiser" fotografiert. Sein Name ist Tricky. Sehr passend. Und wenn ihn seine Jünger künftig als Nearly God bezeichnen, dann ist das nicht vermessen, sondern ein weiterer, teuflischer Schachzug zur Mythenbildung.
    Denn unter dem Band-Pseudonym "Nearly God" hat der erst 27jährige für sein Label Durban Poison zehn Songs von wahrhaft beunruhigender Intensität kompiliert - und wieder eine neue Musik erfunden, die sich jeder Beschreibung entzieht. Begnügen wir uns also, der schwarzen Magie des Meisters gemäß, mit Assoziationen: "Nearly God" ist trotz weniger Ton-Teile ein komplexes Sound-Puzzle, klingt nach (auf CD) gepreßter Ruhe vor dem Sturm, ist der Soundtrack zu einem nie gedrehten Horrorfilm und betört doch mit Bässen, Blues-Trips und wollüstigen Beats die Sinne.
   Wer mag, kann sich bei den Samples auf Spurensuche begeben und wird womöglich das Motiv von "Come Together" (in "Bubbles") oder einige minutenlang repetierte Töne von Costellos "Pills and Soap" (bei "Black Coffee") dechiffrieren. Und auch ein Verweis auf die wunderbaren Gastsänger(innen) - Gramgesicht Terry Hall, Nymphe Martika, Wuchtbrumme Alison Moyet, Energiebündel Neneh Cherry, Nervensäge Björk und Cryptkeeper Tricky himself - mag dem Kenner einen Eindruck von der brodelnden Kraft dieser Platte vermitteln. Doch letztlich ist "Nearly God" ein Rätsel. Und wer es zu lösen versucht, trägt seine Hochspannung zu Grabe.
Roland Huschke
80%
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 photo: Retna Pictures

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