Sophiensäle
Vienna, Austria (01.07.01) |
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about 100 mins. vocals: Tricky, Ambersunshower, Hawkman, Marlon
review from Der Standard (3.7.2001): Die subversive Verführung der Ruine Der britische Musiker Tricky gastierte beim Wiener Jazzfest und erfüllte dort seine Rolle als unberechenbare Ausnahmeerscheinung. Der ausverkaufte Saal erlebte ein Konzert zwischen aufregender Dynamik und zäh inszenierter Langeweile. Von Karl Fluch. Wien - Wenig Licht, dafür viel Dunkel. Grummelmauschelei neben Gesang. Pop trifft Lärm. Schweinerock-Gitarren gegen Groove. Die Ambivalenz des Bühnengeschehens, ihre Umsetzung mittels Lichttechnik, sie umreißt am Sonntag in den Wiener Sofiensälen einen der herausragendsten Musiker der Gegenwart: Tricky. Mehr zu zeigen als eine vage Skizze des Briten scheint jedoch kaum möglich. Tricky lässt es nicht zu. Wie ein flüchtiger Schatten seines Werkes entzieht er sich jedem Zugriffsversuch, schlägt Haken wie ein Hase auf der Flucht, setzt zum Gegenangriff mit immer neuen Mitteln an und zeigt dem Publikum trotz einiger höflicher "Thank you" lieber den Rücken als sein Gesicht. Genährt wird diese als verstörend wahrgenommene Vielfältigkeit durch eine kindliche Lust am Zerstören des eigenen Werks: Sobald die Sandburg mit all den detailverliebt errichteten Türmen und Zinnen fertig gestellt ist, sie von Mami, Vati und dem Rest der Plage mit viel "ei, ei!" und Kopftätscheln bewundert und gelobt wurde, beginnt der eigentliche Akt - weniger das Erschaffen und das Bewahren zählt, sondern das Niederreißen, das Zulassen einer subversiven Verführung, an dessen Ende das eigentliche Werk steht: die Ruine. Sie wird zur Kunst erhoben, ohne sie deshalb übermäßig zu verehren. Alles ist vergänglich. Immer. Seit seinem
Debütalbum Maxinquaye von 1995 erfindet sich Tricky permanent neu,
ohne deshalb auf die wenigen Konstanten in seinem Werk zu verzichten: Unterschwellige
sexuelle Chiffren, soziale Verwahrlosung und eine daraus resultierende
wenig optimistische Weltsicht treffen auf klaustrophobische Angstzustände
und urbane Paranoia des Protagonisten.
Ramponierter Groove TripHop nannte man diese Musik, die in Folge zu einer kantenlosen, geschmäcklerischen Schablone verkam, in der sich seitdem meist geist- und ideenlose Plagiatoren gegenseitig die Bäuche pinseln. Tricky lehnte und legte den Terminus sowie die damit assoziierte Musik bald ab. Statt Oberflächen zu polieren, widmete er sich dem Dreck unter diesen. Dazu erschien ihm einmal ein ramponierter Groove genehm, ein anderes Mal kokettierte er mehr mit HipHop oder widmete sich Projekten wie Product Of The Environment, auf dem er zu erzählten Geschichten bekannter britischer Gangster adäquate Sounds produzierte. In den Sofiensälen konfrontierte Tricky sein Publikum hingegen über weite Strecken mit harten Gitarren: Stoner-Rock, Tricky-Style. Diese neue härtere Gangart bestimmt weite Strecken seines eben veröffentlichten Albums Blowback. Mit diesem wechselt der seit ein paar Jahren in New Jersey Lebende abermals die Richtung: Von einer "neuen Eingängigkeit", einer "Anbiederung an den amerikanischen Markt" sprachen deshalb Skeptiker. Das Mitwirken der Tagebuch-Rockerin Alanis Morissette, die Funkrock-Beiträge der Red Hot Chili Peppers, die Gaststimme von Cyndi Lauper sowie eine Nirvana-Coverversion legen diese Vermutung nahe. Doch Tricky unterwirft diese Beiträge seinen ganz persönlichen Entwürfen, nimmt sich selbst in der Stimme zurück und rückt stattdessen die Stimmen von Lebensgefährtin Ambersun-shower und Rapper Hawkman ins Zentrum der Stücke. Dieser Umstand führte live dazu, dass Tricky mehr arbeiten ließ, als dass der mit seiner von starkem Asthma geschädigten Stimme Unzufriedene selbst das Geschehen dominierte. Doch eine sechsköpfige Formation braucht Führung, braucht Richtung, braucht jemanden, der die Show antreibt. Diesen Part übernahm über weite Strecken der Gitarrist, der dafür sorgte, dass der ausverkaufte Saal Zeuge eines relativ herkömmlichen Rockkonzerts wurde. Wirkliche
Spannung kam nur dann auf, wenn perkussive Rhythmusstöße auf
die Gitarre prallten und beide sich stakkatoartig gegenseitig antrieben.
Wenn Hawkman in den Reigen platzte und seine Raps deklamierte. Wenn der
stoische Bassist kurze Wachphasen durchlebte.
Trickys Statistenrolle Tricky verkam in diesen Momenten zum Statisten seiner Show. Die von ihm oder Sängerin Ambersunshower (kein Taufname!) dominierten Konzertstellen gestalteten sich introvertiert. In austauschbar vor sich hin mäandernden Sounds durchmaß er meist alte Stücke, die im Saal eher für Gähnattacken als für Zuspruch sorgten. Die Dramaturgie der Stücke muss deshalb höflich formuliert als schwach bezeichnet werden. Andererseits passte dieses Nichterfüllen von Erwartungshaltungen exakt in die grobe Skizze der Ausnahmeerscheinung Tricky. Wem das nicht gefiel, der konnte ja die Möglichkeit der unverschlossenen Türen nutzen. © Der
Standard
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